Die Wolke: Ein Gespräch mit Regisseur Gregor Schnitzler

1988 wurde Gudrun Pausewang für ihren Roman »Die Wolke« mit dem SFCD-Literaturpreis (heute »Deutscher Science Fiction Preis« genannt) ausgezeichnet. In den nachfolgenden Jahren wurde dieser Roman zum Millionen-Bestseller und zur Standardlektüre vieler Schüler. Fast 20 Jahre nach seinem Erscheinen begannen am 28. August 2005 in München unter der Regie von Gregor Schnitzler die Dreharbeiten zu »Die Wolke«, einer Verfilmung des Romans.
Gregor Schnitzler
Regisseur Gregor Schnitzler wurde 1964 in Berlin geboren und stellte sich 2002 mit »Was tun wenn’s brennt?« erstmals als Regisseur einer großen Kinoproduktion vor. Den Weg zum Film fand er bereits während des Studiums der Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften an der HdK in Berlin. Er arbeitete einige Jahre als Standfotograf und begann dann 1990 seine Karriere als Regisseur von Musikvideos und Werbespots, von denen er bis 1997 insgesamt 65 Stück realisierte. 1994 drehte Gregor Schnitzler mit einer Folge der RTL-Serie »Im Namen des Gesetzes« erstmals ein längeres dramatisches Format. In den folgenden vier Jahren folgten sieben weitere Episoden. Hinzu kamen 1998 und 1999 zwei TV-Movies der ZDF-Samstag-Abend-Krimireihe „T.E.A.M. Berlin“ und 1999 die Folge „Gefährliche Vaterschaft“ aus der RTL-Serie „Balko“. Mit Eleni Ampelakiotou realisierte er 1991 und 1992 die Kurzfilme „Das Fenster“ und „Sonntage“. Der erstgenannte erhielt das Prädikat „besonders wertvoll“ und gewann die Silbermedaille beim New York Filmfestival. Gemeinsam mit der Regisseurin inszenierte er auch den Kinofilm „Finnlandia“ (2001), der weltweit auf Festivals Beachtung fand. Genau wie „Was tun, wenn’s brennt?“, der im Jahr 2002 den Publikumspreis auf dem Filmfest Lünen gewann. Mit „Soloalbum“, der Verfilmung von Benjamin v. Stuckrad-Barres Kultroman konnte Gregor Schnitzler 2003 Publikum und Kritik gleichermaßen begeistern.

Im folgenden erzählt der Regisseur über seine Gründe »Die Wolke« zu verfilmen und seine Ansichten zum Thema Atomkraft…

Das folgende Interview wurde als Pressematerial von Concorde Film zur Verfügung gestellt!

Der dem Film zugrunde liegende Roman von Gudrun Pausewang stammt aus dem Jahr 1987. Warum wird der Film gerade jetzt realisiert?

Die Katastrophe von Tschernobyl ist jetzt 20 Jahre her, das heißt, 20 Jahre haben wir keinen schlimmeren Atomunfall mehr gehabt. Die Menschen scheinen sorgloser geworden zu sein.

Und der mögliche Regierungswechsel jetzt im September…?

…spielt auch eine Rolle, klar. Die neue Regierung, also vermutlich die Union zusammen mit der FDP,  wird den geplanten Atomausstieg wohl verzögern. Sie wird dafür sorgen, dass wir Kernkraftwerke einige Jahre länger haben.

Was hat Sie angetrieben, diesen Stoff zu übernehmen?

Es ist es immer mein Wunsch gewesen, einen Film zu machen, der auch eine politische Relevanz hat. Aber nicht in der Tradition der deutschen Filme der 70er Jahre, die waren für mein Gefühl zu dogmatisch und nicht filmisch genug. Sondern mehr in der Tradition des New Hollywood.

Wer hat Sie da am meisten beeinflusst?

Sidney Lumet oder auch Sidney Pollack. Letzterer hat immer wieder phantastische Liebesgeschichten mit politischen Themen verbunden, wie zum Beispiel in den Filmen „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ oder „Der elektrische Reiter“. Ich mag Filme, die trotz aller politischen Brisanz erzählerisch sind, auf Spannungsbögen setzen und auf Identifikation bauen. Und die nicht lediglich erzieherische Ziele haben.

Der Film „Die Wolke“ erzählt eine bewegende Liebesgeschichte vor dem Hintergrund einer radioaktiven Katastrophe nach einem Unfall in einem Kernkraftwerk. Was ist die zentrale Botschaft?

Zum einen und ganz einfach: Liebe kann stärker sein als jede Katastrophe. Zum anderen will der Film deutlich machen: Leute, jeder von euch hat eine Stimme! Eine Stimme, die ihr erheben könnt! Keiner kann sagen, er hat nichts gewusst, jeder Mensch weiß, dass es Atomkraftwerke gibt, jeder weiß um die potentielle Gefährdung, und jeder müsste wissen, dass mit der Zahl der betriebenen Kernkraftwerke natürlich auch die Wahrscheinlichkeit eines Super-GAUs steigt. Dagegen kann sich jeder erheben, denn jeder Mensch kann auch eine gewisse Form der Verantwortung tragen. Und damit auch verändern.

Aber die Liebe zwischen den beiden Jugendlichen kann die äußere Katastrophe nicht verhindern, nicht die Folgen des Unfalls in dem Kernkraftwerk, nicht die Folgen der Radioaktivität in ihren Körpern…

Aber sie sorgt dafür, dass unsere beiden Helden ihre inneren Widerstände überwinden und sich etwas trauen, was sie sich sonst nicht getraut hätten. Das Gefühl der Liebe ist nicht kontrollierbar und es zeigt den ungeheuren Drang zu leben.

Also kann Liebe auch hier Berge versetzen?

Ja, die Liebe geht auch hier über bestimmte Grenzen. Der eine, Elmar heißt er in dem Film, macht etwas, was er nicht machen sollte. Er geht zum Beispiel zu ihr, zu Hannah, ins Sanatorium, in den Sicherheitstrakt, um ausgerechnet dort mit ihr zu leben, wo er selbst radioaktiv kontaminiert werden kann.

Was sind die Vorteile, den Film aus dem Blickwinkel von Jugendlichen zu erzählen?

Wir haben es mit unvorbelasteten Menschen zu tun. Mit Menschen, die ein ganz normales Leben leben, nicht verzweifeln, die Ideen haben, die Hoffnungen haben, die Entwicklungsmöglichkeiten haben, eben die jugendliche Kraft und die Unvoreingenommenheit, das Unmögliche zu versuchen. Es ist, jetzt aus der Sicht des Regisseurs, sehr schön, solche Menschen in eine solche Katastrophe zu werfen und an ihrem Beispiel zu zeigen, wie man darüber hinwegkommen kann.

Wie wird ein großes Publikum auf eine Tragödie dieser Art reagieren?

Ich hoffe doch sehr, nein, ich bin sicher, dass wir ein großes Publikum nicht nur erreichen, sondern auch berühren können. Siehe der „Englische Patient“, siehe „Titanic“. Diese Filme haben doch auch gezeigt, dass die Menschen eine Liebestragödie miterleben wollen, dass sie mitleiden wollen, dass sie Tränen vergießen wollen.

Was ist der Unterschied zu Katastrophenfilmen wie „Armageddon“?

In „Armageddon“ ist die Katastrophe der Hauptdarsteller, in „Die Wolke“ sind es zwei Menschen, zwei Jugendliche.

RWE, einer der größten Kernkraftbetreiber des Landes, wirbt in seinen Spots mit dem John-Lennon-Song „Imagine“ und den Textzeilen „Imagine all the people / living life in peace“. Passt das?

Tja, das ist der berühmte Zynismus der Werbung. Alles für sich zu vereinnahmen und den Ursprung zu entstellen.

Bedient der Film nicht die latente Technikfeindlichkeit in diesem Land? So nach dem Prinzip: Alles, was modern und toll ist, ist erst einmal des Teufels?

Nein. Was sollte modern oder toll sein an Atomkraftwerken? Kernkraftwerke gehören eindeutig der Vergangenheit an. Die meisten sind in den Siebzigern und Achtzigern gebaut worden. Das sind keine modernen Technologien, sondern alte und überholte. Die Menschheit riskiert sich selbst dadurch. Ein Kernkraftwerk ist doch, zugespitzt formuliert, so etwas wie ein Selbstmordversuch.

Und wenn man die Wahl hat…

…sollte man Solarenergie nehmen oder Windenergie. Es ist doch ganz einfach: Wenn eine Technologie nicht kalkulierbare Risiken birgt, sollte man eine nehmen, bei der das Risiko überschaubar ist.

Dann brauchte man vor keiner radioaktiven Wolke mehr davonzulaufen.

Ich hätte kein Problem, wenn der Film ewig eine Fiktion bliebe. Die Menschen sensibilisieren und zugleich unterhalten, reicht mir.

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