Imagon – ein Interview mit Michael Marrak (2002)

»Für mich bedeutet Recherche das Fundament, auf dem man sein Roman-Haus errichtet…«

Michael Marrak (Jahrgang 1965) lebt und arbeitet als Autor und Grafiker in Hildesheim. Seine Erzählungen umfassen ein breites Spektrum aus Science Fiction, Horror, Fantasy, Groteske, und phantastischen Theaterstücken. Er publiziert seit 1990 Erzählungen und Grafiken in Taschenbuchanthologien und Magazinen im In- und Ausland. 1999 erhielt Marrak den Deutschen Science Fiction Preis für »Die Stille nach dem Ton« als beste deutsche Science Fiction Erzählung des Jahres 1998. Im Jahr 2001 wurde er für seinen Roman »Lord Gamma«, der im Juni 2002 als »Buchtip des Monats« bei Bastei-Lübbe als Taschenbuch neu aufgelegt wurde,  mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Für den Herbst 2002 ist sein neuer Roman »Imagon« in der Reihe »Bibliothek des Schreckens« des Festa-Verlags angekündigt.

Florian Breitsameter unterhielt sich für phantastisch! mit Michael Marrak über seinen kommenden Roman und seine Zukunft als Schriftsteller.

Ende Mai 2002 erschien »Lord Gamma« als »Buchtipp des Monats« beim Verlag Bastei-Lübbe. Wie kam es denn überhaupt dazu, daß der Roman nach seiner kleinauflagigen Premiere jetzt noch einmal aufgelegt wurde?

Es war der Herzenswunsch seines Autors! (Bitte, bitte, bitte, laß mich das nicht noch mal alles erzählen …) Na, vielleicht in Kurzform: Drei Kapitel »Gamma« zum Probelesen an Andreas Eschbach, um seine Meinung zu hören. Andreas: »Ha!« Meint, ich brauche endlich einen guten Agenten und schickt die Kapitel per E-Mail an Thomas Schlück. Schlück: »Ha!« Vertrag! Schlück schickt besagte Kapitel an Bastei-Lübbe. Bastei Lübbe: »Ha!« Vertrag! Neuauflage 2002. Marrak: »Ha!«

Frage: Welche Änderungen gab es im Roman für die Neuauflage?

Eigentlich gar keine. Das Lektorat hat weder etwas gekürzt noch wurden von mir Textpassagen hinzugefügt (obwohl Lübbe nichts gegen zwei, drei zusätzliche Kapitel einzuwenden gehabt hätte.) Ich habe noch ein paar Logikfehler behoben, doch dies belief sich lediglich auf das Streichen von vier Sätzen. Ach ja, den Artemion-Effekt habe ich noch etwas ausführlicher erklärt – in Form einer dreiviertelseitigen Fußnote ?. Die gravierendste Änderung ist sicherlich die neue deutsche Rechtschreibung.

Frage: Würdest du sagen, daß es für dich rückblickend ein Vorteil war, daß »Lord Gamma« nur in so kleiner Auflage im Shayol-Verlag erschienen und schnell vergriffen war?

Ja und nein. Ja, weil eine innerhalb weniger Monate vergriffene Auflage von dreihundert Exemplaren von Lübbe als so gut wie gar nicht erschienen betrachtet wurde und somit die Taschenbuch-Neuauflage eines Taschenbuchs möglich war. Nein, weil man nach dem Totalabsatz von »Lord Gamma« fünfzehn Monate lang nichts mehr von mir kaufen konnte. Ich war über ein Jahr lang ein Autor ohne Bücher und gewann zudem noch Preise für eine längst vergriffene Veröffentlichung … Und das interessiert aufhorchende Ausland guckte in die Röhre und musste auf den überarbeiteten »Gamma«-Reprint warten. Das war schon ärgerlich.

Frage: Es könnte also sein, daß wir demnächst die Ankündigung lesen, daß Lord Gamma auch im Ausland erscheinen wird?

Ja, aber ich kann nicht sagen, wann. Frankreich und Italien warteten lange auf die überarbeitete Neuauflage, und nun läuft das ganze Prozedere zwischen den Agenturen und Verlagen ab. Ich kriege da nicht viel von mit. Bis das Buch übersetzt ist und letztlich erscheint, vergeht sicher noch einige Zeit.

Frage: Hast Du den Eindruck, daß man im Ausland schneller als Autor akzeptiert wird?

Ich glaube, Du verwechselst ›akzeptiert‹ mit ›wahrgenommen‹. Und von welchem Genre sprechen wir? SF? Krimi? Historischer Roman? Fantasy? Da gibt es unterschiedliche Wahrnehmungsschwellen. Einigen wir uns auf SF/Fantasy und grenzen den Begriff ›Ausland‹ dazu vorsichtshalber mal auf unsere unmittelbaren Nachbarländer ein. Was den Wahrnehmungseffekt an sich betrifft, so wird das Ausland auf einen inländischen Autor in der selben Weise aufmerksam wie das Inland auf einen ausländischen: Man gewinnt einen oder mehrere Preise und erweckt das Interesse. Aber das war bis vor einigen Jahren keinesfalls die Regel. Andreas Eschbachs »Haarteppichknüpfer« war, wenn ich mich nicht irre, seit vielen Jahren der erste SF-Roman eines deutschen Autors, der in Frankreich oder Italien (oder betrifft es sogar beide Länder?) übersetzt wurde.
Eine unschätzbar wertvolle Plattform für die internationale SF und Fantasy und vor allem für Big Deals ist das beeindruckende Utopiae-Festival in Nantes/Frankreich geworden, auf das ich vergangenes Jahr zu ersten Mal eingeladen wurde. Vor zwei Jahren wurde von Bruno della Chiesa, Valerio Evangelisti und Patrick Gyger auf selbigem der AELITA-Verein gegründet, eine Organisation europäischer SF-Autoren, Herausgeber und Übersetzer.
In Laufe eines E-Mail-Wechsels bezüglich der französischen »Lord Gamma«-Übersetzung schrieb mir Bruno della Chiesa vor geraumer Zeit einen Brief, den ich aufgrund seiner klaren Aussage nahezu ungekürzt wiedergeben möchte. Er beantwortet Deine Frage am präzisesten.
BdC schrieb: Obwohl wir zwar erreichen konnten, dass einige Bücher innerhalb Europas übersetzt und veröffentlicht werden – zwischen Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Dänemark, was schon beachtlich ist, vor allem beim Vergleich mit der Situation vor fünf Jahren! – fehlen immer noch die britische und amerikanische Szene im Bild. Es wäre viel besser, wenn wir endlich einmal die Angelsachsen an Bord hätten. Damit wäre endgültig (für manche, mindestens!) der internationale Durchbruch geschafft. So traurig es auch klingen mag, ist es tatsächlich viel einfacher, ein Buch in UK oder den USA zu verkaufen, wenn schon eine englische Version vorhanden ist. Dazu ist aus geheimnisvollen Gründen der angelsächsische Markt noch viel schwieriger zu durchdringen als irgend ein anderer. Nach diesen Erkenntnissen haben wir angefangen dafür zu sorgen, dass die Originaltexte zumindest die richtigen Leute in UK und/oder USA erreichen. Dies ist zum Hauptziel des AELITA-Vereins geworden.
Andreas Eschbachs Bücher und »Lord Gamma« gehören zu den wenigen europäischen Romanen, die wir problemlos im Ausland, und insbesondere im angelsächsischen Sprachraum empfehlen können. Mein größtes Problem hier ist, dass ich den »amerikanischen Geschmack« kaum verstehe. Es ist für mich viel einfacher, einem französischen (oder italienischen, oder spanischen) Verleger ein Buch anzubieten! Schon mit Deutschland habe ich meine Schwierigkeiten hier.
Nun, ich denke, das sind deutliche Worte und bedürfen keines weiteren Kommentars.

Frage: Du hast in einem anderen Interview mal gesagt »Sobald ‚Gamma‘ in Druck ist, werde ich den Rest des Jahres nur noch lesen…«. Das glauben wir Dir ja nun nicht so ganz – was hast Du also in der Zeit gemacht?

Nun ja, als »Gamma« endlich fertig war, war von besagtem Jahr leider nicht mehr viel übrig … Ein paar Monate vorher, im Juli 2000, rief mich zudem Frank Festa an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, meine Novelle »Der Eistempel« zu einem Roman für seine Lovecraft-Reihe auszubauen. Frank hatte bereits damals, als die Edition Metzengerstein noch in den Kinderschuhen steckte, mit mir über einen Horror-Roman gesprochen, doch wir hatten das Projekt jahrelang verschleppt. Als Frank schließlich anrief, hatte ich mit »Gamma« gerade einen SF-Roman vollendet und war daher literarischer Abwechslung – soll heißen: einem Genrewechsel – nicht abgeneigt. Also sagte ich: »Okay!« So gaben sich die Romane die Klinke in die Hand und machten meine guten Vorsätze zur Ankurbelung des deutschen Buchmarktes wieder zunichte. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich habe viel geschrieben und viel zu wenig gelesen.

Frage: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist »Imagon« der Abschluß einer literarischen Entwicklung …

Keinesfalls meiner Entwicklung, sondern die der erzählten Geschichte. Inspiriert von Lovecrafts Kurzroman »Berge des Wahnsinns« entstanden die ersten Textpassagen vom Einschlag eines Meteoriten auf Grönland und die damit verbundene Entdeckung einer uralten Tempelanlage vor mehr als 15 Jahren, und die erste – fürchterlich schlechte – Version erschien 1990 unter dem Titel »Die Augen von Aasac« in einer Hardcover-Anthologie namens »Erzählungen der phantastischen Literatur«. Es war zugleich meine erste veröffentlichte Story. 1994 erschien eine leicht veränderte, aber immer noch nicht viel bessere Version (diesmal mit SF-Hintergrund) unter dem Titel »Schweigender Gezeiten Geister« in »Andromeda # 134«. Ein paar Jahre später nahm ich mir die Geschichte für meine Novellensammlung »Die Stille nach dem Ton« noch mal zur Brust und schrieb sie völlig um. Unter dem Titel »Der Eistempel« erschien sie 1998 in einer um das Dreifache verlängerten Version, und damals war ich recht zufrieden mit dem Ergebnis. Dennoch ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich Fernsehdokumentationen zu verfolgen und Internetberichte zu lesen und mir dabei eifrig Notizen über Grönland, die Inuit und die Arktis zu machen, mit der vagen Absicht, den »Eistempel« irgendwann zu vervollkommnen. Irgendwie war die Geschichte einfach noch nicht rund und das, was ich eigentlich erzählen wollte, nur zu einem Bruchteil erzählt. Just als »Der Eistempel« veröffentlicht wurde, gab es weltweit ziemlich viel Wirbel um den vermeintlichen Einschlag eines großen Meteoriten, der über Ostgrönland die Nacht für Minuten zum Tag gemacht haben soll – ein Ereignis, das so auch in meiner Geschichte beschrieben wird. Zudem entpuppte sich einer der Leser, die damals die Novellensammlung gekauft haben, als studierter Geologe und Paläontologe, und der schrieb mir bald darauf eine ziemlich lange E-Mail, in der er mich darauf hinwies, was für ein Kokolores im »Eistempel« zum Teil noch steht. Mangels Hintergrundwissen hatte ich Fehler gemacht, wo es nur ging; Geologie, Physik, Wissenschaftlichkeit, Landesgeschichte, Logik … Liebe Güte … Als dann im Juli 2000 Frank Festa bei mir anrief und mich bat, den »Eistempel« – unter neuem Titel – zu einem Roman auszubauen, schloss sich der Kreis. Das Produkt dieser literarischen Evolution heißt »Imagon«.

Frage: Du hast schon einige Handlungselemente von »Imagon« umrissen, trotzdem die Frage, um was es in dem Roman genau geht?

Zunächst einmal: »Imagon« ist, wie vielfach angekündigt, kein Cthulhu-Roman. Er spielt zwar in Lovecrafts Elder Gods-Universum, aber Cthulhu wird allenfalls mal am Rande erwähnt. Die Geschichte handelt von ein paar ganz anderen… hm… Leuten? Grossen Alten? Monstern? Zudem ist »Imagon« kein klassischer, sondern ein sehr moderner lovecraft’scher Roman. Eine Geschichte, die in einem 400 Seiten dicken Buch erzählt wird, in wenigen Sätzen wiederzugeben, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie klingt albern, egal wie großartig sie womöglich ist. Allerdings gibt es noch den von mir vorgeschlagenen Klappentext. Er verrät nicht zu viel aber auch nicht zu wenig über die Story. Dort heißt es: »Als ein Meteorit im ewigen Eis Grönlands niedergeht, enthüllt sich der angereisten Forschergruppe im Einschlagskrater ein spektakulärer Fund: Der Gipfel einer prähistorischen, an einer Bergflanke erbauten Tempelanlage. Die sensationelle Entdeckung erweist sich für den schneehassenden Geophysiker Poul Silis und die beteiligten Wissenschaftler jedoch als Initialzündung für einen unheilvollen Prozess, denn tief unter dem Eis wartet ein äonenaltes Wesen auf die Erfüllung einer Prophezeiung.« Was die Grenze zwischen Horror und SF betrifft: Zum einen sind Cthulhu und Konsorten nun mal Außerirdische (Lovecraft bezeichnete sie als »Gezücht von den Sternen«), zum anderen spielt die Geschichte ein paar Jahre in der Zukunft. Letzteres ist notwendig, um den Stand der im Roman eingesetzten Technik zu rechtfertigen, etwa bestimmter Formen satellitenunterstützter Kommunikation oder der Größe und Einsatzfähigkeit mobiler Analysegeräte wie Scanalyzern, Photoelektronen- oder Röntgenspektrometern. Heutzutage besitzen diese Geräte teils noch annähernd die Groesse eines VW-Käfers und sind im Gegensatz zu denen im Roman reine Laborgeräte. Ebenso spielt in »Imagon« eine Zeitreise eine Schlüsselrolle, verbunden mit einem Effekt, der als temporale Rekursion bezeichnet wird; A verursacht B, B verursacht C, C verursacht A.

Frage: Das klingt aber kompliziert … Wird der normale Leser das Ende von »Imagon« leichter verstehen als das Mysterium um »Lord Gamma«?

Wird er. Und der Abnormale auch.

Frage: Wie wichtig war bei Deinen Romanen »Lord Gamma« und jetzt »Imagon« die Recherchearbeit?

Außerordentlich wichtig, jedoch aus unterschiedlichen Aspekten. »Lord Gamma« ist ein SF-Roman und spielt in einer Zukunftswelt, die ihren eigenen Gesetzen folgt. Hier bezog sich die Recherche vorwiegend auf Plausibilität und Logik, um ein abstraktes, sehr komplexes Weltengebilde funktionieren zu lassen. Ein wenig Astrophysik hier, ein wenig Astronomie da, ein wenig Mathematik dort. »Imagon« dagegen ist ein vergleichsweise bodenständiger Roman, der als Wissenschafts-Thriller beginnt und langsam in Horror übergeht. Die Geschichte spielt quasi in der Jetzt-Zeit, und fast alle Protagonisten sind Mitglieder eines Wissenschaftsteams, das sich im Auftrag eines geophysikalischen Instituts wochenlang in einer Arktisstation auf dem grönländischen Inlandeis aufhält; Geologen, Chemiker, Mechaniker, Biologen, Ärzte … Diese Leute sollten sich natürlich auch ihrer Berufung entsprechend verhalten und sich adäquat miteinander unterhalten. Ihre wissenschaftliche Arbeit muss nachvollziehbar sein und ihr Equipment authentisch. Intensive Recherche war für »Imagon« unverzichtbar. Ich musste mich über physische Geographie schlau machen und wissen, wie die Infrastruktur einer Polarstation funktioniert. Von exogener Ablation über subglaziale Höhlenbildung und geoseismische Sondierungen bis zum Inuktitut-Englisch-Wörterbuch füllen inzwischen Hunderte von Seiten Recherchematerial den Leitzordner neben meinem Rechner. Vor allem musste ich beim Schreiben die Besonderheiten, Eigenarten und Gebräuche der Inuit-Kultur berücksichtigen und alles, was Grönland an sich betrifft. Es war eine sehr faszinierende Recherche.

Frage: Ist es für Dich beim Schreiben wichtig diese ganzen Fakten im Hinterkopf zu haben? Manche Autoren geben ja offen zu, gar keine Ahnung von den von ihnen beschriebenen Dingen zu haben, und die Recherche zu meiden, da sie nur viel Zeit kostet und die eigene Phantasie eingrenzt.

Genau so lesen sich ihre Werke dann auch … Das Bedenkliche daran ist, das viele Leser dieses Wissensmanko gar nicht zu stören scheint, weil sie ebenso wenig Ahnung von den »beschriebenen Dingen« haben. Hin und wieder beschleicht mich der Verdacht, dass manche Autoren, die nach diesem Klein-Hänschen-Prinzip arbeiten, den vermeintlichen Unverstand ihrer Leser von vornherein mit einkalkulieren. Ein Autor sollte seine Leser nie für dümmer halten als sich selbst. Für mich persönlich bedeutet Recherche das Fundament, auf dem man sein Roman-Haus errichtet. Umso stabiler das Fundament, desto sicherer steht die auf ihm errichtete Geschichte. Natürlich kostet Recherche Zeit, und man sollte genug Geduld haben, um sie entsprechend zu betreiben. Ich favorisiere die Methode learning by doing. Letztlich empfinde ich Recherche als eine unterhaltsame Form der Weiterbildung. Der Wissensschatz (sofern man geneigt ist, das Recherchierte im Kopf zu behalten) nimmt beständig zu. Recherche ist für mich so etwas wie der »dritte Bildungsweg«.

Frage: »Lord Gamma« wurde allgemein als Science Fiction-Roman angesehen, »Imagon« wird vielfach in der Berichterstattung als Horror-Roman bezeichnet. Ist das eine Unterscheidung, die Du unterstützen würdest, oder empfindest Du sie eher als störend? Kannst Du einen solchen Unterschied selbst ausmachen?

Ja. Nein. Ja. – »Imagon« hat von der Stimmung her sehr viel gemeinsam mit dem Film »The Thing« von Carpenter. Ist dieser Streifen nun ein SF- oder ein Horror-Film, oder beides? »Imagon« ist ein Grenzgänger zwischen Wissenschafts-Thriller, Horror- und SF-Roman. Da er sich jedoch deutlich von der Zukunftswelt eines »Lord Gamma’« unterscheidet und mehr oder weniger in der Jetzt-Zeit und mit Lovecrafts Elder Gods-Mythos spielt, bezeichne ich ihn selbst als Horror-Roman.

Frage: Entstehen daraus für Dich Unterschiede beim Schreiben, wenn Du einmal mit der Zielsetzung »SF« und ein andermal mit der Zielsetzung »Horror« an einem Roman arbeitest?

Nein. Wenn ich mit einem Roman beginne, setze ich mich hin und fange einfach einer Intuition folgend an zu schreiben, bis etwa zwei oder drei Kapitel fertig sind. Meist habe ich eine Anfangs-Szenerie im Kopf, wie etwa bei »Lord Gamma« – zwei Personen sitzen in einem alten Pontiac auf einer abschüssigen Straße, und wenige hundert Meter weiter befindet sich eine Grenze, vor deren Überquerung sich eine der beiden Personen fürchtet. Bisher absolut keine SF. Man schreibt also weiter. Lässt den Radiomoderator etwas vom einzigen Auto auf dieser Welt faseln, und das die Straße immer bergab geht … aha, denkt man sich, spielt das noch auf der Erde? Was ist das für eine Grenze und warum fürchtet sich die Person vor ihr? Und so weiter. Aus kleinen Handlungen und Dialogen schält sich dann immer mehr Hintergrundgeschichte aus dem Nichts. Nach diesem System fängt fast jeder meiner Romane an. Ob es SF-, Horror oder einfach nur ein Roman mit phantastischen Elementen wird, entscheide ich, nachdem ich mich zwanzig, dreißig Seiten in die Geschichte hineingeschrieben habe. Erst dann denke ich an das Exposé. Das erste Kapitel von »Imagon« ist ein sehr schönes Beispiel für solch ein richtungsoffenes Anfangs-Szenario.

Frage: Wie hat sich Deine Art zu Schreiben in den letzten Jahren geändert?

Na, ich hoffe mal, ich schreibe besser als früher.

Frage: Hast Du davon mal abgesehen nach »Lord Gamma« Deine Arbeitsweise wieder verändert oder nur verfeinert?

Eher verfeinert. Früher bastelte ich schier unlesbare Schachtelsätze, und es wimmelte nur so von logischen und grammatikalischen Fehlern. Ich wollte damals einfach zu viel, packte zu viel Innerspace und Fremdartigkeit in eine zu bildhafte Sprache. Während des Schreibens an »Gamma« entwickelte sich eine präzisere, flüssigere, teilweise sogar rasante Art des Schreibens, die mich selbst überrascht und fasziniert hat. Ich wusste plötzlich, wie ich das, was ich im Kopf habe, klar und eindringlich in Worte umsetzen muss, ohne dass mein Text an Intensität und Tiefe verliert. Einzig die Rasanz habe ich für »Imagon« wieder zurückgefahren, da der Roman gegenüber »Gamma« sehr ruhig beginnt und sich erst im Laufe der Erzählung sukzessive steigert. »Gamma« spielt ab der ersten Seite in einer fiktiven, irrealen Welt, »Imagon« zu einem Großteil in der Realität; in der Isolation einer Arktis-Station und ihrer unmittelbaren Umgebung – dem gigantischen Krater im Eis beispielsweise oder den prähistorischen Bauwerken, die dieser zum Vorschein gebracht hat.

Frage: Bevor man Dich im SF-Bereich als Autor wahrnahm, kannte man dich schon länger als Erschaffer surrealer Bildwelten. Siehst Du die Welt Deines Romans während des Schreibens immer deutlich bildhaft vor Dir?

In der Regel schon, und das macht vieles einfacher. Problematisch wird es, wenn ich mir mit einer umfangreichen Szene oder einem Kapitel zu viel Zeit lasse und sie länger als geplant im Kopf mit mir herumschleppe. Dann entwickeln die Bilder eine Eigendynamik. Es schleichen sich trotz Exposé neue Ideen ein und verursachen Änderungen. Man denkt sich: Ja, das wäre auch nicht schlecht so … Wenn’s dumm läuft, habe ich schließlich vier oder fünf verschiedene Variationen des selben Kapitels im Kopf und weiß nicht, wie ich nun am brauchbarsten von A nach B komme. Bei »Gamma« gab es da so eine Situation. Ich schrieb anfangs zwei Versionen jener Szene, in der der Protagonist in den unterirdischen Bunker eindringt. Dabei sei erwähnt: Als ich mit »Gamma« begann, hatte tatsächlich nur ein einziger Bunker in der Geschichte existiert. Da war die Story auch noch als Kurzgeschichte konzipiert. Als ich die beiden Variationen jedoch geschrieben hatte, gefielen sie mir so gut, dass ich entschloss, zumindest mal einen zweiten Bunker einzuführen und die Handlung dahingehend zu verlängern. Von einer Kurzgeschichte zu einer Erzählung. Na ja, und dann …

Frage: Ist es für Dich leichter, diese Bilder als Autor festzuhalten, oder als Zeichner? Für »Imagon« hast Du ja schließlich auch das Titelmotiv selbst geschaffen.

Sicherlich als Autor, sonst hätte ich vor einigen Jahren keine Prioritäten dahingehend gesetzt, als Schriftsteller und nicht als Illustrator meine Brötchen zu verdienen. Was das »Imagon«-Titelbild betrifft, lag meine Entscheidung, es selbst zu entwerfen, mehr oder minder an der momentanen Arbeitsüberlastung von Babbarammdass. Frank Festa und er sind über Monate hinweg mit einer sehr aufwendigen Produktion beschäftigt. Frank rief mich daher an und fragte, ob ich nicht jemanden wüsste, der das Titelbild entwerfen kann, ohne dass es gestalterisch zu sehr aus der Reihe der bisherigen Cover fällt. Ich könnte es selbst versuchen, antwortete ich. Gesagt, getan. Das soll nicht bedeuten, dass ich nun den Illustrator wieder auspacke. Ich könnte mir jedoch vorstellen, hin und wieder ein Farbcover zu gestalten.

Frage: Du hast sehr viel Zeit und Energie in Deine Romane »Lord Gamma« und »Imagon« investiert. Doch ich nehme an, von den bisherigen Veröffentlichungen in Kleinverlagen konntest Du nicht Deinen Lebensunterhalt finanzieren. Das kann sich vielleicht jetzt durch das Erscheinen von »Lord Gamma« bei Bastei-Lübbe ändern. Ist es denn Dein Ziel, allein von der Schriftstellerei zu leben?

Mit Erscheinen von »Lord Gamma« ändert sich das bestimmt nicht. So etwas zu denken, ist Traumtänzerei. Betrachten wir es daher als Fernziel. Mit dem Vertrag bei Lübbe ist die erste Hürde überwunden, aber es ist noch ein langer Weg – und ehrlich gesagt: Würde ich nur SF veröffentlichen, wäre das ganze von vornherein zum Scheitern verurteilt. Horror und Phantastik besitzen ein weitaus größeres Lesepublikum. So gerne ich auch SF schreibe, die Szene ist leider zu klein, um von ihr leben zu können.

Frage: Obwohl wir ja noch etwas warten müssen, bevor »Imagon« erscheint, würde ich natürlich doch gerne von Dir wissen, was Deine weiteren Pläne sind?

Ich versuche, die fünf Kilo abzunehmen, die ich mir über den Winter angefressen habe.

Frage: Dann wünsche ich mal viel Erfolg dabei. Was ist Dir denn wichtig im Leben?

Vor allem das gemeinsame Leben mit meiner Freundin. Daneben natürlich auch die »Grundbedürfnisse eines Schriftstellers«. Ich möchte die Freiheiten, die ich mir erarbeitet habe, nicht missen, selbst, wenn zu Hause hin und wieder eine Everyday is like Sunday-Stimmung herrscht und ein Tagesablauf dem anderen gleicht. Meine Fantasie nicht nutzlos in Wort und Bild umzusetzen, ist mir wichtig. Feedback und die Anerkennung jahrelanger Arbeit an einem Buch ebenso. Und meine »sieben Sinne« zu behalten, um meinen Job so gut wie möglich zu erledigen. Mann, das ist ein Fass ohne Boden … nächste Frage!

Frage: Wie kommst Du mit der Einsamkeit des Schreibers zurecht? Immerhin hängst Du durch die Arbeit an einem Roman mehrere Monate an Deinem Computer fest…

Monate? Jahre! Aber ehrlich gesagt: Einsam bin ich nicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht viele Menschen um mich herum brauche. Ich bin überzeugter Misanthrop … Nein, mal ehrlich: Wer sich von einer stumpfsinnigen Rechenmaschine mit Bildschirm daran hindern lässt, die Wohnung zu verlassen, um Freunde oder einen Pub zu besuchen oder ins Kino oder Essen zu gehen, der ist selbst schuld. Nichts gegen Computer, Abgabetermine, Schreibwut und Schreibblockaden, Selbstvergessenheit und die unerschöpfliche Weite des World Wide Web – aber die Gerüchte über eine Außenwelt sind wahr!

Frage: Du bist im letzten Jahr nach Hildesheim bei Hannover gezogen. Da ich weiß, daß Du gerne in Höhlen herumkletterst, kann ich mir die Frage kaum verkneifen, ob es dort überhaupt begehbare Höhlen gibt und Du sie schon erkundet hast?

Klar gibt es sie! Der südlich von hier gelegene Harz ist Karstgebiet. Ich sollte diese Frage meine Freundin beantworten lassen. Sie liegt seit der letzten Höhlentour mit ’ner dicken Erkältung im Bett …

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