Ein Interview mit Barbara Slawig (2002)

»Für mich sind Personen der Kern einer Geschichte!«

Ein Interview mit Barbara Slawig
von Florian Breitsameter

Barbara Slawig (Jahrgang 1956) lebt und arbeitet in Berlin als Autorin und freie Übersetzerin (Englisch) für Belletristik und Sachtexte.
Nach einem Studium der Biologie an der Ruhruniversität Bochum und einem Stipendium an der Leeds University, England, arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin und promovierte mit einer Arbeit über Meningitis-Epidemien in Westafrika.
1986 kehrte sie der Wissenschaft den Rücken zu und arbeitete danach unter anderem als Dozentin an der VHS und Taijiquan-Lehrerin.
Etwa ab 1988 begann sie als Autorin eigene Texte zu verfassen und veröffentlichte ab 1994 auch erste eigenen Arbeiten (u.a. im Heyne-Verlag). Im Jahre 2000 veröffentlichte der Haffmans Verlag ihren Roman »Die lebenden Steine von Jargus« als Hardcover, der u.a. beim »Deutschen Science Fiction Preis 2001« den zweiten Platz belegte.

Florian Breitsameter sprach im August 2002 mit Barbara Slawig über ihre wissenschaftliche Ausbildung, ihren Roman »Die lebenden Steine von Jargus«, ihre Arbeit als Schriftstellerin und Übersetzerin und ihre zukünftigen Projekte.


Wenn man Deine Biographie liest, fällt auf, daß Du nach Deiner Promotion der Wissenschaft den Rücken zugekehrt hast. Lag es an fehlenden Berufschancen als Biologin, oder wolltest Du einfach nach den Jahren an der Uni und am Max-Planck-Institut einen Wechsel vollziehen?

So schlecht waren die Berufschancen damals gar nicht. Im Bereich medizinische Mikrobiologie, in dem ich gearbeitet habe, gab es Möglichkeiten sowohl in der Pharma-Industrie als auch in der Grundlagenforschung. Aber ich wollte weder das dreihundertsiebenundneunzigste Antibiotikum entwickeln, noch Tierversuche überwachen, noch mich immer weiter spezialisieren und spezialisieren, um eine noch unbesetzte Nische in der Forschung zu finden. Ich habe mich schon immer mehr für Zusammenhänge interessiert als dafür, eine einzelne Ursache-Wirkungs-Kette bis ins Detail zu analysieren – was man in allen reduktionistischen Teilgebieten der Biologie ja tun muß, wenn man Ergebnisse vorweisen will. Da bin ich bei der Literatur einfach besser aufgehoben. Geschichten eignen sich wunderbar dafür, komplexe Sachverhalte einzufangen. (Das Thema kommt ja auch in den »Lebenden Steinen« vor, im Streit der »Integralbiologen« mit den »Physikalisten«.)

Hältst du dann die zunehmende Spezialisierung, der man sich ja zwangsläufig heutzutage als Wissenschaftler unterwerfen muß, für einen Fehler? Alfred E. van Vogt hat ja bereits in seinem Roman »Die Expedition der Space Beagle« den Beruf des Nexialisten entworfen, der wieder die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen herstellen soll …

Für den allgemeinen Erkenntnisfortschritt wäre so jemand sicher von Vorteil! In meiner Zeit als Biologin fand ich es manchmal erschreckend, wie wenig sich selbst Leute, die mit dem gleichen Mikroorganismus arbeiten, aufeinander beziehen. Und das sind noch alles Biologen und Mediziner. Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler verstehen ja häufig nicht einmal die Denkvoraussetzungen der anderen Seite.
Aber die Verständigung zwischen den Disziplinen ist natürlich nicht einfach eine Frage des guten Willens. Die Schranken sind vorhanden, und wer sie überwinden will, muß praktisch eine doppelte akademische Ausbildung durchlaufen. Solche Leute gibt es schon – zum Beispiel unter den Wissenschaftshistorikern, die ja eigentlich Fachwissenschaftler und Philosophen und Historiker sein müssen – aber sie sind doch dünn gesät.

Du arbeitest – so stand es zumindest in der Biographie der Haffmans-Ausgabe – u.a. auch als Tai-Chi-Lehrerin. Daraus könnte man natürlich jetzt kurzerhand schließen, daß in der Figur Jeanne Andrejew auch etwas von Dir steckt?

Ich habe viele Jahre lang Tai chi unterrichtet, aber vor einer Weile damit aufgehört, weil ich in Gefahr war, mich zu verzetteln. Und Du hast schon recht, ein bißchen was von mir steckt in Jeanne. Aber eben nur ein bißchen. Z. B. habe ich im Unterricht immer die meditative Seite des Tai chi betont – schon deshalb, weil ich vom Kämpfen zu wenig verstand. Für die kämpferischen Aspekte des Tai chi gab es in Deutschland lange Zeit kaum gute Lehrer; da habe ich erst in den letzten zwei, drei Jahren dazugelernt.
Aber natürlich steckt in jeder Romanfigur ein Stück Autorin. Man kann eine fiktive Person nur dann lebendig schildern, wenn man einen seelischen Zugang zu ihr findet. Bei Jeanne ist mir das relativ leicht gefallen – bei Strogoff aber auch, oder bei Zimack oder Leo … David war schwerer, und eine Person ist mir richtiggehend auf die Nerven gefallen. (Nein, ich verrate nicht, welche es war.)

Bei David Woolf fällt natürlich sofort auf, daß auch er seinen Beruf wechselte …

Stimmt, daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Da sieht man mal, wie viel Autoren in ihren Werken unbewußt über sich enthüllen …

Wie kam es eigentlich zu diesem militärischen Hintergrund, in die diese Geschichte eingebettet ist? War der bereits in der ersten Storyidee so enthalten?

Das Militär hat praktisch von Anfang an mitgespielt. Ich wollte, daß Jeanne in eine Umgebung mit klaren festen Regeln gerät und mit Leuten – vor allem Männern – konfrontiert wird, die diese Regeln als selbstverständlich hinnehmen. Sie sollte würdige Gegner haben, keine Witzfiguren, über die der Leser lacht, aber auch niemand, mit dem sie so ohne weiteres Frieden schließen könnte.
Was ich mir mit dem militärischen Background an Problemen einhandle, ist mir allerdings erst später klar geworden. Da habe ich viel recherchieren müssen, aber das macht natürlich auch Spaß. Ich habe damals sogar eine Bundeswehrkaserne besichtigt, mit Privatführung durch einen Oberleutnant.

Und was waren Deine Eindrücke, die Du damals mitgenommen hast? Blieb Dir etwas besonders im Gedächtnis hängen?

Ich habe damals einfach bei der Pressestelle der Bundeswehr angerufen und gefragt, ob mir jemand eine Kaserne von innen zeigen kann. Das hat geklappt. Und es war ungeheuer lehrreich. Zum einen habe ich natürlich viele viele Fakten gelernt: wie man die Ränge unterscheidet, wie der Wachdienst organisiert ist, wie die Leute untergebracht sind, was auf so einem Kasernengelände an einem gewöhnlichen Nachmittag los ist … Aber die atmosphärischen Details waren fast noch wichtiger. Wie die Leute sich bewegen, was für eine Sprache sie wann verwenden, wie so ein Oberleutnant Befehle erteilt (obwohl ich mir da in »Jargus« einige Freiheiten erlaubt habe, dieses ständige »Ja, Herr Konell« war in der Kaserne nicht zu hören). Es war auch ein Erlebnis, sich an einen Ort zu begeben, an dem ich vollständig und unbezweifelbar fehl am Platz war. Danach stand mir Jeannes Situation im Roman um einiges klarer vor Augen!
Am meisten hat mich jedoch beeindruckt, wie normal es in dieser Kaserne zuging. In Filmen und Büchern über Soldaten steht ja meist das Kriegsgeschehen im Vordergrund, und die Personen werden daran gemessen, wie sie mit dem Krieg zurechtkommen: ob sie »Helden« sind oder »Feiglinge«; ob sie blind gehorchen oder nachdenken – je nachdem. Aber in dieser Kaserne schien der Krieg unendlich weit weg, es schien nur darum zu gehen, daß man bestimmte Regeln zu befolgen, bestimmte Aufgaben zu meistern hat. Und genau auf diese unauffällige Weise werden die Rekruten zu Soldaten gemacht, die dann später nach den gleichen Regeln auch in Kabul ihr Lager aufschlagen. Oder was immer sonst von ihnen verlangt wird. Mag sein, daß dieser Kontrast in Berufsarmeen nicht so groß ist, aber für mich hat sich dadurch der Blick aufs Militär überhaupt verändert.

Bei der Lektüre von »Die lebenden Steine von Jargus« hatte ich den Eindruck, dass der Roman auch ausserhalb der SF funktionieren würde. Warum hast Du Dich entschieden einen SF-Roman statt einem »Mainstream«-Roman zu schreiben?

Die lebenden Steien von Jargus

Haffmans-Verlag, 2000

Flugverbot

Argument-Verlag, 2003

Zunächst einmal einfach deshalb, weil ich viel SF gelesen hatte und mir gerade das Erfundene, das Freie, daran Spaß machte. Als ich dann anfing, mir selbst Geschichten auszudenken (lange bevor ich ans Schreiben dachte), haben diese Geschichten eben auch in erfundenen Welten gespielt. Solche Prägungen wird man halt nicht mehr los.
Abgesehen davon möchte ich Dir aber auch nur zum Teil Recht geben. Sicher, die Sabotage-Geschichte aus den »Lebenden Steinen« könnte letztlich überall stattfinden, und in Sachen Technologie gibt es auch nichts spektakulär Neues, aber die Konstellation der drei Hauptfiguren David, Strogoff und Jeanne wäre so nirgendwo in der realen Welt möglich. Nur ein Beispiel: Jeanne war beim Militär, noch dazu im Kriegseinsatz – schon das hätte nur in wenigen Armeen der Welt passieren können. Dann bestimmen diese Militärs (verkörpert durch Strogoff) sehr stark das moralische Klima auf Jargus – und ein so einfühlsamer und humaner Mensch wie David findet das im Prinzip ganz in Ordnung! Wenn ich das in irgendeinem realen Land angesiedelt hätte, hätte die Beziehung zwischen den dreien völlig anders aussehen müssen. Und für mich sind immer Personen der Kern einer neuen Geschichte, nicht der Plot oder der Background. Das ist vielleicht SF-untypisch, aber es ist nun mal so.

Nun, ich bin durchaus der Meinung, dass gute Geschichten immer von Personen handeln, auch wenn das in der SF leider tatsächlich oftmals zu kurz kommt …

Da hast Du natürlich recht. Ich wollte etwas anderes sagen. Der »Kern« einer Geschichte ist für mich der Aspekt, der für den Autor oder die Autorin im Mittelpunkt stand; der Aspekt, der für sie der Anlaß zum Schreiben war. Ich glaube, daß für SF-Autoren sehr häufig das Szenario der »Kern« ist – sie wollen z. B. über eine bestimmte zukünftige Gesellschaftsordnung schreiben und erfinden auf dieser Grundlage dann ihre Personen und die Handlung – oder sie haben zuerst einen Plot im Kopf, eine neue Variante der Erstkontakt-Fabel z. B. Im Gegensatz dazu geben bei mir fast immer die Personen den Ton an, und Background und Handlung haben sich im Zweifelsfall nach ihnen zu richten.
Mit der Frage, ob das Buch dann letztlich gut wird, hat das alles aber wenig zu tun. Man könnte höchstens sagen, daß die Schwächen eines Buchs (falls es denn welche hat) am ehesten in dem Bereich zu finden sein werden, der dem Autor/der Autorin nicht so am Herzen lag. In der SF sind das dann vielleicht wirklich oft die Charaktere, aber Geschichten mit pappigem Personal gibt es eigentlich in jedem Genre.

Da stimme ich Dir aber zu. Gerade die SF gilt ja auch oftmals als »Ideengenre«, das vor allem neue und faszinierende Konzepte (sei es nun die Begegnung mit Außerirdischen oder eine neue physikalische Entdeckung mit galaktischen Auswirkungen) aufbaut.
Oftmals wird die SF deshalb ja auch als »utopische Literatur« bezeichnet und es wird an sie die Forderung herangetragen, einen Ausblick auf die Zukunft zu bieten, um daraus mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Glaubst Du, daß die SF so etwas leisten kann?

Ich finde es interessant, daß Du »herangetragen« sagst. Mein Eindruck ist nämlich, daß dieser Anspruch ganz häufig von außerhalb der Leserschaft kommt. Z. B. von Leuten, die »das Gute« an der Unterhaltungsliteratur zu entdecken versuchen, indem sie deren pädagogischen Auftrag ausfindig machen: Krimis können aufrütteln, SF kann warnen … Die gleichen Leute erzählen einem dann, daß sie SF eigentlich nicht mögen, weil sie ihnen zu düster ist. In Wirklichkeit wissen SF-Autoren natürlich nicht mehr über die Zukunft als ihre Zeitgenossen. Und ganz viel SF hat ja herzlich wenig mit der Zukunft zu tun: »Solaris« und unzählige andere Romane und Erzählungen von Lem, sämtliche Romane von Ursula LeGuin – von »Star Wars« ganz zu schweigen – das alles ist nur deshalb in der Zukunft angesiedelt, weil sich dort niemand auskennt, weil da Platz für Gedankenexperimente oder einfach für haarsträubende Abenteuer ist.
Sicher, wenn ich behaupte, daß meine Geschichte in der Zukunft spielt, dann muß ich das auch irgendwie plausibel machen; ich muß meine erfundene Welt gewissermaßen an die Jetztzeit anstricken. Nur gehe ich dabei eben rückwärts vor, d. h. ich habe erst den Endzustand im Kopf und denke mir dann eine Entwicklung aus, die zu diesem Zustand geführt haben könnte. Aber natürlich gibt es auch Autoren, die wirklich und wahrhaftig »extrapolieren« – genau wie es Autoren gibt, die sich überhaupt nicht darum scheren, wie ihre Welt mit unserer zusammenhängen könnte.

Kommt Dir da Deine wissenschaftliche Ausbildung zu Hilfe?

Vermutlich schon. Am meisten vielleicht dadurch, daß ich mich an naturwissenschaftliche Themen herantraue, auch wenn sie nicht zu meinem Fachgebiet gehören. Außerdem ist mein Weltbild trotz aller anderen Einflüsse wohl nach wie vor stark naturwissenschaftlich geprägt. Ich halte auch beim Erfinden immer Ausschau nach den harten Fakten: Wie groß ist dieser Planet, wie viele Leute leben da, wovon ernähren sie sich, wie kommunizieren sie, wie funktioniert ihre Wirtschaft, ihre Gesellschaft … Das muß ich alles wissen, auch wenn in der Geschichte dann kaum etwas davon vorkommt.

Ach ja – eine Frage an die Biologin – könnte denn ein Lebewesen wie die Lebenden Steine überhaupt existieren?

Das kann man so oder so sehen. In der Astrobiologie wird »Leben« meist gleichgesetzt mit »Leben, wie wir es kennen«. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist Leben auf Silizium-Basis kaum vorstellbar. Silizium hat zwar in mancher Hinsicht ähnliche chemische Eigenschaften wie Kohlenstoff, aber bevor daraus so etwas wie organische Substanz entstünde, müßten wohl ziemlich exotische Bedingungen herrschen, die wiederum zur Folge hätten, daß Wasser als universelles Lösungsmittel nicht verfügbar wäre, und so weiter.
Die Frage, ob auch andere, »nicht-irdische« Formen von Leben möglich sind, ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sinnlos. Sie ist nichts als eine Einladung zur Spekulation, da keine der aufgestellten Hypothesen beweisbar wäre. Es entspricht dem wissenschaftlichen Anstand, das Spekulieren dann auch zu lassen.
Ich wüßte aber nicht, warum wir uns außerhalb des Wissenschaftsbetriebs auch an diese Denkbeschränkung halten sollten. Und gerade im spekulativen Zweig der Literatur fände ich das sogar ausgesprochen albern. Die Lebenden Steine ernähren sich ähnlich wie Pflanzen, bewegen sich so langsam, wie es ihrem eher starren Körperbau angemessen ist; sie können elektromagnetische Felder wahrnehmen wie manche Tiere … Nichts davon widerspricht einem Naturgesetz. Warum soll es sie also nicht »irgendwo da draußen« auch geben?

Du sagst, daß Du viel SF gelesen hast. Wie sieht denn Dein Bücherregal aus – wieviel Platz nimmt da ungefähr die SF ein und womit ist der Rest gefüllt?

Ich habe mal nachgeschaut: Ungefähr 20 Prozent der Belletristik, schätze ich. Ein bißchen Fantasy kommt noch dazu. Wobei ich mit Mitte Zwanzig einmal eine ganze Kiste mit Taschenbüchern verkauft habe – da war sehr viel SF dabei. Und in sparsamen Jahren habe ich viel aus Büchereien entliehen.
Ansonsten steht da eine sehr bunte Mischung mit einigen Schwerpunkten: Margaret Atwood, Jane Austen, Theodor Fontane, Gabriel Garcia Marquez, Christa Wolf, Virginia Woolf. Die Anglo-Amerikaner sind sicher überrepräsentiert, und die Frauen wohl auch.

Und was sind in der Science Fiction Deine Lieblinge?

Zuallererst und konkurrenzlos Ursula LeGuin. Sie gehört zu den ganz wenigen Autoren, von denen ich alles gelesen habe und bei denen ich selbst die schwächeren Romane noch liebe. Ich bewundere ihre sprachliche Ausdruckskraft, und außerdem gefällt mir, wie pfleglich sie mit ihren Figuren umgeht. Bei einigen Autoren hat man ja das Gefühl, daß sie ihre Leute am liebsten alle in die Luft jagen würden (was sie gelegentlich dann auch tun).
Dann gibt es eine Reihe Autoren, die ich wegen bestimmter Romane sehr schätze, z.B. Lem oder die Strugatzkis oder Delaney oder aus neuerer Zeit Maureen McHugh. Und es gibt diejenigen, die meine ersten SF-Jahre besonders geprägt haben, ob sie nun gut waren oder nicht: Asimov, Niven, Heinlein und wie sie alle hießen …

Ja, wenn ich so darüber nachdenke, dann kann man den Einfluß von Ursula K. LeGuin tatsächlich etwas bei der Lektüre von »Die lebenden Steine von Jargus« bemerken.
Was mich nebenbei zu der Frage bringt, ob Du noch andere »Vorbilder« als Autorin hast?

Ach, das ist immer eine heikle Frage. Ingrid Noll hat darauf einmal sinngemäß geantwortet: Ich werd mich doch hier nicht lächerlich machen, indem ich mich mit den großen Meistern vergleiche. Dem kann ich mich nur anschließen. Und letztlich wünscht sich jede Autorin wohl vor allem, daß sie ihren eigenen Ton findet und auf ihre eigene Art richtig gut wird.

Liest Du auch SF anderer deutscher SF-Autoren? Stimmst Du beim Kurd-Laßwitz Preis mit ab?

Ich stimme nicht mit ab, nein. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal genau, wer abstimmungsberechtigt ist. Aber ich lese auch nicht systematisch die Neuerscheinungen, nicht einmal die deutschsprachigen, darum sind meine Szene-Kenntnisse sehr lückenhaft. Von den deutschen Autoren kenne ich fast nur Andreas Eschbach einigermaßen gut, und auch von ihm habe ich lange nicht alles gelesen.

Eine Frage hat mich schon länger interessiert – wenn ich richtig informiert bin, hattest Du Deinen Roman »Die lebenden Steine von Jargus«, der bei Heyne unter dem Titel »Jargus« erscheinen sollte, schon einmal als »Flugverbot« in einer sehr kleinen Auflage gedruckt. Wie kam es denn zu den vielen unterschiedlichen Titeln für ein und das selbe Buch?

Ja, schade, daß es keinen Preis für den am häufigsten umbenannten SF-Roman Deutschlands gibt. Vor »Flugverbot« hatte der Roman nämlich auch schon einen Titel, einen völlig nichtssagenden wie »aha«, den ich nur beim Benennen von Dateien etc. benutzt habe. Als der Roman fertig war, habe ich ihn nach langem Grübeln und Brainstorming im engsten Freundeskreis »Flugverbot« getauft. Unter diesem Titel habe ich ihn an die Verlage geschickt und außerdem an Freunde und Bekannte, die endlich wissen wollten, was ich da verfaßt hatte. (Das waren diese gebundenen DIN A5-Kopien, die über Meldungen in »Alien Contact« und anderswo ein bißchen bekannt geworden sind.) Im Haffmans Verlag wollte man dann lieber einen Titel, der gleich an SF denken läßt, also wurde »Die Lebenden Steine von Jargus« daraus. Das wiederum war Heyne nicht griffig genug, weshalb man es zu »Jargus« verkürzte. Und da Heyne den Roman nun doch nicht veröffentlichen wird, bekommt er vielleicht irgendwann in einem anderen Verlag noch einmal einen anderen Titel.

Was hältst Du von der derzeitigen Entwicklung im Heyne-Verlag, die dazu führt, daß so kurzfristig über das Erscheinen oder Nicht-Erscheinen eines Titels entschieden wird?

Das ist sicherlich nur vorübergehend. Kein Verlag könnte es sich auf Dauer leisten, Autorinnen und Leser derart im ungewissen zu lassen. Im Moment ist es wohl so, daß alle Titel in allen Programmen von Seiten der Konzernleitung einen scharfen Prüfung unterzogen werden, und was den Wirtschaftlichkeitskriterien nicht genügt, fliegt raus. Und SF ist in Deutschland nun mal leider kein Verkaufsschlager, auch wenn es eine konstante und interessierte Leserschaft dafür gibt. Aber wenn diese Übergangsphase vorbei ist, wird man mit Heyne sicher wieder so zuverlässig rechnen können wie früher.
Wie das SF-Programm dann aussehen wird, ist natürlich eine ganz andere Frage! Da würde ich im Augenblick keine Prognose wagen, es hängt von zu vielen Faktoren ab. Und für die Autoren, die jetzt von den Streichungen betroffen sind, ist das sowieso ein schwacher Trost. Ich habe gerade erfahren, daß Heyne »Jargus« definitiv nicht herausbringen wird. Und da der Haffmans Verlag pleite ist, gibt es das Buch erst einmal überhaupt nicht mehr zu kaufen. Das ist natürlich keine Freude.

Entspricht die »Flugverbot«-Fassung bereits der später bei Haffmans erschienen Version, oder gab es für diese Veröffentlichung noch inhaltliche Änderungen?

Keine wesentlichen. Der Lektor von Haffmans, Heiko Arntz, hat das Manuskript aber gründlich durchgearbeitet und Hunderte von Änderungen vorgeschlagen. Fast alle dienten der größeren Klarheit. Zum Beispiel habe ich mich häufig zu sehr auf das Gedächtnis der Leser verlassen – da wollte er gern Erinnerungshilfen eingebaut haben; oder es gibt eine Szene, in der auf wenigen Seiten viele neue Personen eingeführt werden, da hatte er gute Ideen, wie man die Leser vor vollständiger Verwirrung bewahrt. Das hat dem Roman sehr gutgetan. Ja, und die Datumsangaben waren auch seine Idee.

Du arbeitest auch als Übersetzerin (in welchen Genres eigentlich?). Ist das für Dich eine ganz normale Arbeit, die dich eigentlich nur vom Schreiben abhält, oder beziehst Du daraus auch Hilfestellungen für Deine eigenen Werke?

Ich habe in der »Frauenbranche« angefangen, d. h. bei Liebesromanen, später kamen andere Genres dazu, u. a. auch Science Fiction. Sprachlich habe ich dadurch sehr viel gelernt. Man vergrößert seinen Wortschatz, wird bei Grammatik und Rechtschreibung sattelfest und insgesamt geschmeidiger im Umgang mit Wörtern und Sätzen. Außerdem lernt man Recherchieren, man lernt, mit dem Computer umzugehen … Was das Erzählhandwerk angeht, habe ich wohl mehr durchs Lesen gelernt als durchs Übersetzen. Mein größtes Problem mit dieser Art Broterwerb ist, daß Übersetzen den Kopf und die Phantasie auf sehr ähnliche Weise beansprucht wie das Schreiben. Es fällt mir sehr schwer, beides parallel zu tun. Meist übersetze ich in Schüben, dann schreibe ich wieder, bis das Geld alle ist, usw.. Das hat allerdings den Nachteil, daß man bei langwierigen Projekten die Arbeit zwischendurch auf Monate unterbrechen muß.

Ist dann das Schreiben für Dich eher eine Berufung als ein Beruf? Immerhin sagst Du ja selbst, daß Du schreibst, bis »das Geld alle ist«?

Es ist sicherlich nicht nur Broterwerb – da gäbe es wahrhaftig einträglichere Berufe. Wenn ich es mir leisten könnte – und ich hoffe, daß es irgendwann dazu kommt – würde ich nur noch schreiben. Das Problem ist, daß ich relativ langsam arbeite und außerdem recht dickköpfig bin, was meine Themen angeht. Wenn ich mich einmal an einem Projekt festgebissen habe, lasse ich es so leicht nicht wieder los, auch wenn es sich länger hinzieht, als ich ursprünglich dachte. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist das vielleicht nicht so günstig. Aber im Gegensatz zu Lektoren und Programmchefs muß ich es zum Glück keinem Controller recht machen.

Du bist ja in Deiner Arbeit als Übersetzerin und Schriftstellerin mehr oder weniger an den Computer gebunden. Wie kommst Du mit der »Einsamkeit des Schreibers« zurecht?

Nun, ich lebe nicht allein – das ist schon mal sehr wichtig – und obwohl ich nicht aus Berlin stamme, habe ich hier natürlich langjährige Freunde und sogar einiges an Verwandtschaft. Was mir tatsächlich etwas fehlt, ist der alltägliche, beiläufige Kontakt mit Kollegen, wie ich ihn aus der Zeit im Labor kenne und auch aus den Jahren, in denen ich viel unterrichtet habe. Jetzt sind alle derartigen Treffen eine eigene Unternehmung, sie kosten Zeit und konkurrieren mit anderen Terminen und dem Schreiben. Das finde ich manchmal etwas mühsam.
Die Übersetzer haben inzwischen ja die Mailingliste für sich entdeckt und pflegen einen munteren, offenen und solidarischen Meinungsaustausch, wie es ihn früher wohl höchstens auf Seminaren gab. Das gefällt mir sehr. Die Autoren scheinen dagegen eher Eigenbrötler zu sein. Jedenfalls läuft bei mir der Kontakt da fast nur über private Mails. Aber ich bin auch selbst ziemlich eigenbrötlerisch veranlagt; zum Beispiel plaudere ich nur ungern über »work in progress«. Also liegt es vielleicht auch an mir.

Oh, ich hatte eigentlich doch gehofft, dass du uns noch etwas über Deinen nächsten Roman verrätst!

Na ja – ein bißchen erzähle ich natürlich gern. Der nächste Roman wird in der Gegenwart spielen, in einem Dorf in Brandenburg, in dem ich einmal ein Jahr lang einen zweiten Wohnsitz hatte. Die Geschichte geht kurz gefaßt so, daß eine junge Frau, die in dem Dorf als Biologin gearbeitet hat, von einem Tag auf den andern verschwunden ist, und ihr Bruder versucht sie zu finden. So richtig rundum realistisch geht es auch in diesem Roman natürlich nicht zu, aber Realität und Phantastisches sind doch auf andere Art miteinander verwoben als in »Jargus«, mehr im Stil meiner Erzählungen. Also Phantastik im weiteren Sinne.
Die Arbeit daran ist inzwischen ziemlich weit fortgeschritten, geht aber langsam voran, so daß ich parallel dazu an anderen Texten arbeite. Und zwar vor allem wieder an einem »richtigen« SF-Roman. Er spielt im gleichen Universum wie »Jargus«, ist aber definitiv keine Fortsetzung. Allerdings greift er einen losen Faden aus diesem Roman auf, und auch die eine Hauptperson kommt ganz am Rand schon in »Jargus« vor. Es wird aber auf jeden Fall ein eigenständiger Roman, den man auch lesen kann, ohne »Jargus« zu kennen.

Wann denkst Du bestehen realistische Chancen, dass wir den nächsten Roman von Dir zum Lesen bekommen werden?

Nächstes Jahr im Herbst? Das ist zumindest mein Ziel.

Veröffentlichungen von Barbara Slawig

Roman
»Die Lebenden Steine von Jargus«. Haffmans Verlag, Zürich 2000

Erzählungen (Auswahl)

»Vogelkralle«. In: »Isaac Asimov’s Science fiction Magazin 42«, Hg. Friedel Wahren, München 1994
»Der Wald«. In: »Vielfalt der Stimmen«, Hg. Elsbeth de Roos, Berlin 1995
»Göttergeld«. In: »Der Rabe Nr. 55«, Hg. Heiko Arntz & Gerd Haffmans, Zürich 1999
»Flaute«. In: »Der Rabe Nr. 56«, Hg. Heiko Arntz & Gerd Haffmans, Zürich 1999
»Ich hab’s gleich«. In: »Der Rabe Nr. 57«, Hg. Heiko Arntz & Max Goldt, Zürich 1999
»Abends am Fluß«. In: »Der Rabe Nr. 62«, Hg. Heiko Arntz & Angelika Maisch, Zürich 2001
»Das Verschwinden der Wangs«. In: »Feueratem«, Hg. Michael Nagula, Knaur Verlag, München 2002
»Bericht über Evans«. In: »phantastisch! 17«, Verlag Achim Havemann, Hitzacker, 2005

Anderes

»Wassermusik«. Ein Mixed-Media-Projekt am Wasser. In Zusammenarbeit mit Elke Utermöhlen, Martin Kroll, Martin Slawig. Frühjahr – Herbst 2000.

Übersetzungen (Auswahl)

Jennifer Nadel: »Eine Frau tötet« (Sara Thornton: »The Story of a Woman Who Killed«). München 1995
Michael P. Kube-McDowell: »Trigon-Trilogie« (»Emprise«/»Enigma«/»Empery«). München 1997-98
Simon Ings: »Datafat« (»Hotwire«). München 1999

© Florian Breitsameter & Barbara Slawig

Hinweis: Dieses Interview erschien erstmals im Oktober 2002 im SF-Magazin »phantastisch!«, Ausgabe 17