Interview mit Andreas Eschbach zu »Kelwitts Stern« (1999)

Jesus Video von Andreas Eschbach, Schneekluth VerlagSF-Fan.de: In »Jesus Video« geht es, wie der Titel schon verspricht, auch um eine mögliche Videoaufnahme von Jesus Christus. Muß man nicht sehr vorsichtig vorgehen, wenn man das Thema »Religion« behandelt?

Andreas Eschbach: Wie das Beispiel Salman Rushdie zeigt, muß man es offenbar. Aber so sollte es nicht sein. Im Grunde handelt doch alle Literatur letztlich von Religion – in dem Sinn, daß sie sich mit dem Leben beschäftigt und mit der Frage, wie man es leben sollte. Nichts anderes ist ja der Kern von Religion.

Für »Jesus Video« hast Du sehr viel recherchiert…

Allerdings.

Ist Dir die Recherchearbeit lästig oder bereust Du es beim Schreiben dann eher, daß Du nur so wenig davon einbauen  kannst?

Man muß nicht alles einbauen, was man recherchiert hat. Alles, was man weiß, trägt zu dem Roman bei, auch das, was man letztlich nicht explizit verwendet. Ich habe nur einen Bruchteil des Materials verwendet, das ich hatte, habe aber nicht das Gefühl, gewissermaßen »umsonst recherchiert« zu haben. Ich muß sagen, daß mir das Recherchieren an sich auch Spaß macht. Man interessiert sich auf diese Weise plötzlich für Dinge, auf die man ohne ein Romanprojekt nie gekommen wäre. In großen Bibliotheken herumzustöbern ist für mich einer der höchsten Hochgenüsse, die es gibt.

Woran arbeitest Du eigentlich gerade?

Die Antwort auf diese Frage lautet in der Regel: an meinem nächsten Roman. Das stimmt eigentlich immer. Ab und zu erwischt man mich allerdings an dem Punkt, daß ein Projekt noch in einer sehr frühen, verletzlichen Phase des Reifens und Wachsens ist, in der ich nichts darüber sagen mag und auch nicht kann. Und gerade ist das so.
Ich habe gerade die letzten Arbeiten an »Kelwitts Stern«, der voraussichtlich im August 1999 erscheinen wird, beendet, bin recht zufrieden und zuversichtlich, und nun geht es weiter.

»Kelwitts Stern« – was kommt da auf uns zu?

»Kelwitts Stern« ist die Geschichte eines Außerirdischen, der auf der Schwäbischen Alb notlandet. Der Umfang liegt mit 410 Manuskriptseiten wieder im Rahmen.

Damit näherst Du Dich ja wieder ein Stück mehr Deiner direkten Heimat…
»Die Haarteppichknüpfer« spielten in einer fernen Zukunft vor langer Zeit, »Solarstation« war in der Erdumlaufbahn angesiedelt und »Jesus Video« in Israel. Ist das ein bewußter Versuch auch einmal eine Science Fiction Handlung mitten in Deutschland anzusiedeln, oder hat sich das zwangsläufig so bei der Umsetzung der Idee ergeben?

»Kelwitts Stern« beruht auf der Idee, daß es eine ferne Kultur fremder Wesen gibt, bei denen es Sitte ist, jedem Neugeborenen seinen eigenen Stern sozusagen zu schenken. Da es Glück bringen soll, »seinen« Stern einmal zu besuchen, macht sich Kelwitt auf den Weg – und »sein« Stern ist zufällig unsere Sonne!
Natürlich landet er im Zuge dessen auch auf der Erde, und dieses Thema – Außerirdischer landet auf der Erde – ist ja nun wirklich eines der ausgelutschtesten überhaupt. Man muß sich also schon ins Zeug legen, um das noch einigermaßen interessant zu gestalten, und so ergab sich das. Denn wo landen alle Aliens in allen Filmen?
In Arizona. Zumindest aber in den USA. Ein Außerirdischer auf der Schwäbischen Alb – das entlockt einem spontan mal ein Schmunzeln. Und ich wollte mit »Kelwitts Stern« ja einen eher humorvollen Roman schreiben. So ergab sich das.

Muß man sich daß dann so vorstellen, wie »Alf im Schwabenlande« – Außerirdischer kracht nachts in die Garage? SF und Humor ist ja meist ein etwas schwieriges Thema.

Humor ist generell schwierig. Das so hinzubekommen, daß es wirkt, als wäre es leicht und locker-flockig hingeschrieben – das ist harte Arbeit. Auch nach »Kelwitts Stern« ist das nicht meine Domäne, aber ein paar Stellen sind mir doch gelungen, wo ich schmunzeln muß und auf die ich stolz bin. Düstere, depressive Bücher sind sehr leicht zu schreiben – es ist das Happy End, das heutzutage die wahre Herausforderung ist.
Ich glaube, ich nehme dem Buch nichts, wenn ich verrate, daß »Außerirdischer kracht nachts in die Garage« nicht so daneben ist. Humor lebt ja auch von Zitaten, und man wird einige in dem Buch entdecken können. Auch Alf. Nur kracht mein Außerirdischer nicht nachts, sondern tagsüber herunter, und nicht in eine Garage, sondern in einen Heuschober.

Im letzten Jahr erschienen »Die Haarteppichknüpfer« als Taschenbuch, im Juni 1999 veröffentlicht Bastei-Lübbe kommt »Solarstation« als Taschenbuch. Hast Du eigentlich schon einmal daran gedacht eine Fortsetzung zu einem dieser Romane zu schreiben?
Bei beiden sind ja genug Ansatzpunkte vorhanden: die Rätsel des Haarteppichuniversums sind unermeßlich und mancher Leser würde sich auch gerne nochmals von Leonard Carr lesen…

Mein Credo ist, daß man zu jedem Roman eine Fortsetzung schreiben kann. Die Frage ist allenfalls, ob man es tun soll. Zu den »Haarteppichknüpfern« hätte ich noch Ideen für mindestens vier Folgebände, und zu »Solarstation« war es eine Zeitlang sogar konkret im Gespräch, eine Fortsetzung zu schreiben. Nach dem Motto, zu »Stirb Langsam« gibt es schließlich auch zwei gute Sequels. Aber andererseits habe ich auch viele ganz andere Ideen, die auch realisiert sein wollen.
Ein Gesichtspunkt ist auch, daß ich möglichst rasch ein möglichst breites Fundament an Möglichkeiten bauen möchte. Dankenswerterweise  erfreue ich mich ja der nahezu ungeteilten Anerkennung der deutschen SF-Gemeinde, und wenn ich mir anschaue, was gerade alles an Preisen auf mich niederprasselt, weiß ich nicht, was als nächstes
kommt… ob man mich zum König krönt oder sowas… ich rechne mittlerweile mit allem.
Aber falls sich außerhalb dessen, im »Mainstream«, wie man so sagt, zusätzlich ein kommerzieller Erfolg einstellen sollte – und einiges bahnt sich schon an, mit Übersetzungen nach Italien und Frankreich, über Filmoptionen wird gesprochen, und manche in diesem Geschäft erfahrene Leute sagen mir, es könne unter Umständen alles sehr schnell gehen – dann möchte ich mich nicht in dem Druck wiederfinden, wie etwa John Grisham oder Patricia Caldwell nur noch eine Sorte Roman schreiben zu dürfen. (Obwohl zumindest Grisham das sehr gut macht.)

Es könnte also durchaus sein, daß wir demnächst einen Eschbach in den Händen haben werden, der nicht mehr zur »SF« zu rechnen ist?

Man kann darüber diskutieren, ob man den nicht längst in Händen hat. Aber grundsätzlich lautet die Antwort »ja«, weil ich mich nicht um Genres kümmere. Zum Leidwesen meiner Verleger. Mir geht es nur um die Geschichten, die ich erzählen will; die Einordnung überlasse ich anderen.

Du bist ja kein Vollzeitschriftsteller. Nebenbei programmierst Du ja noch, und hältst Softwarekurse. Ist das nur eine lästige Arbeit, oder manchmal auch eine willkommene Abwechslung. Das Schreiben an sich ist ja eher eine ziemlich einsame Tätigkeit.

Ja, den Kontakt mit Menschen, den man im Rahmen dieser Tätigkeiten hat, genieße ich schon. Insofern ist es eine willkommene Abwechslung. Ich will nicht verhehlen, daß ich auch die Tätigkeit des Programmierens an sich schätze. Manchmal entwickle ich skurrile Programme nur für mich – mit denen wohl auch sonst niemand etwas anfangen könnte – einfach aus Spaß. Es gibt aber Momente, in denen diese Arbeit stört, unterbricht, die Konzentration beeinträchtigt. Wenn man einen guten Tag hat, Seite um Seite fließt, und man dann aufhören muß, weil noch ein dringender Auftrag zu erledigen ist – das hat dann schon etwas von coitus interruptus.

Was sind Deine fünf Lieblingsbücher?

Hier die Liste…
1. Robert Pirsig, »Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“
2. Erica Jong, »Angst vorm Fliegen«
3. Alistair MacLean, »Rendezvous mit dem Tod«
4. Robert Silverberg, »Es stirbt in mir«
5. Larry Niven, Jerry Pournelle, »Der Splitter im Auge Gottes«

Ich habe mich jetzt mal nur auf Romane beschränkt, und wirklich sicher, daß sie auf diese Liste gehören und in der richtigen Reihenfolge sind, bin ich mir nur bei den ersten drei.

»Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten«? Was kann man sich darunter vorstellen?

Das ist ein Roman und außerdem eines der berühmten drei Bücher, die ich mitnehmen würde auf eine einsame Insel. Ich dachte lange Jahre, eine Entdeckung gemacht zu haben, aber tatsächlich ist das ein Kultbuch mit einer Millionenauflage weltweit. Wundert mich, daß Du das nicht kennst.

Nun, dafür kenne ich die letzten beiden Romane auf der Liste gut.
Sind diese fünf Romane auch Vorbilder, oder würdest Du da wieder andere Autoren nennen?

Alistair MacLean war in meiner Jugend mein absolutes Idol. Ein anderes Vorbild ist Georges Simenon, aber von ihm könnte ich kein einzelnes Buch für eine solche Liste herausgreifen. Würde ich meinen Bücherschrank entlanggehen und jeden Autor aufschreiben, der mich beeinflußt hat, von dem ich gelernt habe, der in einer Sache oder eine Zeitlang Vorbild war, käme eine meterlange Liste heraus. Ich hege beispielsweise, was manchen vielleicht irritieren wird, eine heimliche Zuneigung zu den Romanen Konsaliks. Über Spannung und dramatischen Aufbau von Geschichten habe ich von ihm wahrscheinlich mehr gelernt als von jedem anderen Autor, und er ist heute noch mein Gegengift gegen Anfälle teutonischen Geniewahns.




Anmerkung: Dieses Interview entstand im Mai 1999 im Auftrag eines Internetbuchhändlers und wurde erst später auch bei SF-Fan.de online gestellt.