Andreas Eschbach im Interview – »Da schlummert noch ein Geheimnis, da bin ich mir sicher…!« (1998)

Ein Gespräch mit Andreas Eschbach in fünf Kapiteln.


1. Perry Rhodan und „Der Gesang der Stille“

»Einfach nur zu sagen, ein Jugendtraum geht in Erfüllung, ist grenzenlos untertrieben…«



Florian Breitsameter: Mit Band 1935, „Der Gesang der Stille“ erscheint ein Roman von dir in der Perry Rhodan Heftserie. Wie kam es zu diesem „Gastauftritt“ in der PR-Serie?

Andreas Eschbach: Bei den SF-Tagen 1997 kam Klaus Frick auf mich zu und fragte, ob ich schon mal was von Perry Rhodan gehört hätte… (hi hi).
Er hatte gerade die „Solarstation“ gelesen und trug mir das Ansinnen vor, einen Band für die PR „Space Thriller“ zu schreiben. Ich sagte, ja, warum nicht, outete mich als alten PR-Fan, und wir verfolgten das dann eine Weile.
Dann stellte sich heraus, daß die Space Thriller erst mal nicht über die ersten 4 Bände hinaus fortgesetzt werden würden. Auf der Frankfurter Buchmesse hockten wir eine ganze Weile zusammen und brüteten, was wir statt dessen unternehmen könnten. Ein PR-Taschenbuch? Hmm, naja, meinte ich zögernd. Eigentlich seien die aber auch schon ziemlich weit verplant, meinte Klaus. Ich weiß nicht mehr, wer eigentlich auf die Idee kam, irgendwann war sie einfach da: warum nicht einen „Gastauftritt“ in der Serie selbst? Als Vorbild fiel mir ein, daß es irgendeine amerikanische TV-Serie gibt – „Dallas“ oder „Denver Clan“, ich weiß es nicht mehr genau -, in der immer wieder bekannte Schauspieler in winzigen Nebenrollen auftreten. Das ist da anscheinend so eine Art „running gag“ geworden.

Du hast auf deiner Homepage sinngemäß den Satz stehen, daß du dir mit dem Schreiben eines Perry-Rhodan-Heftromans einen „Jugendtraum“ erfüllst. Was war eigentlich die Faszination, die für dich als Jugendlicher von PERRY RHODAN ausging?

Das ist schwer zu sagen. Was ist es, das einen an etwas (oder jemandem) fasziniert? Wenn man das sagen kann, ist es vielleicht gar keine Faszination…
Ich denke, dieses Geheimnisvolle ist ein Teil des Phänomens der Faszination. Aber ich will der Frage nicht ausweichen. PERRY RHODAN war für mich, was für andere Karl May ist – ich glaube, diese Aussage können viele PR-Leser unterschreiben. Perry Rhodan war Old Shatterhand, Atlan war Winnetou, sozusagen. Eine phantastische Welt, in die man vollkommen eintauchen konnte. Abenteuer, die man miterleben konnte. Aber das Faszinierendste daran, glaube ich – und das ist bemerkenswert, wenn man es genau bedenkt – ist der moralische Anspruch, den ein Held wie Perry Rhodan an sich selbst stellt. Das hat er mit den Helden Karl Mays gemeinsam, und ich denke mir, daß man genau die gleiche Haltung bei den Star Trek Serien findet. Wahrscheinlich ist es das, was einen Helden auszeichnen muß. Das ist nicht einer, der sich schlau und clever durchlaviert, andere in seinem Sinne gegeneinander ausspielt usw. und auf diese Weise „siegt“; vielmehr versucht ein Held immer, sozusagen „höhere Ideale“ zu verwirklichen – Gerechtigkeit, zum Beispiel. Und das Schöne an der Welt des Heldenromans ist, daß ihm das gelingt. Daß das Gute immer siegt, letztlich.

… und was ist von dieser Faszination bis zum heutigen Tage erhalten geblieben?

Für mich trat ein Bruch ein, kurz nach dem Band 1000. Bis dahin war die Serie für mich etwas, das mich ständig begleitet hat, fasziniert hat, beschäftigt hat. Es war richtig erschreckend, zu erleben, wie das alles sehr abrupt endete. Es war, glaube ich, Band 1020 oder so. Mitten im Heft, auf Seite 30 oder 40 vielleicht, legte ich das Ding beiseite und hatte das Gefühl, es ist vorbei.
Und das war es dann auch erst einmal. Ich sträubte mich dagegen, versuchte, wieder reinzukommen – vergebens. Es war, als wäre ein Zauberbann gebrochen. Ich habe dann die Serie erst einmal aus den Augen verloren. Vor einigen Jahren bekam ich von einem Bekannten, der im Antiquitätengeschäft ist und Haushaltsauflösungen usw. macht, zwei große Kartons voller PR-Hefte geschenkt. Da waren neben vielen Heften, die ich schon hatte, ganze Zyklen jenseits der 1000 komplett drin, und ich habe da ein bißchen herumgelesen und spürte wie ein fernes Echo die alte Faszination wieder. Wenig später geriet ich an einen Kiosk und erstand das aktuelle PR-Heft, weil ich einfach mal sehen wollte, was gerade los ist. Das war aus dem gerade zu Ende gehenden Linguiden-Zyklus, in dem sehr ausführlich zurückgegriffen wurde auf Ereignisse aus den „alten Zeiten“, und da war ich plötzlich wieder Feuer und Flamme, schlappte jede Woche los, um das neueste Heft zu kaufen… (Spielten da nicht auch die „Meister der Insel“ wieder eine Rolle? Das ist ja nach wie vor und wahrscheinlich für alle Zeiten der genialste Zyklus, den es in PR je gegeben hat.) Bloß als dann der nächste Zyklus anbrach, ebbte das wieder ab. Nun, so ist es eben. Es dauert, so lange es dauert, aber ganz läßt einen etwas, das einmal so sehr Bestandteil des eigenen Lebens war, nie mehr los.
Aber nun schreibe ich einen Roman für die PR-Serie, wow! Einfach nur zu sagen, ein Jugendtraum geht in Erfüllung, ist grenzenlos untertrieben. In meiner Jugend gab es die Götter, die das PR-Universum schufen – und nun, zwanzig Jahre später, werde ich aufgenommen in diesen Pantheon, als kleiner Hilfs- und Nebengott zwar nur und lediglich auf Besuch, aber immerhin! Ich meine, wie könnte man das noch toppen? Im Grunde nur, wenn mich Paul McCartney anruft und sagt, „Hey, ich will mit George und Ringo ins Studio gehen und einen Song aufnehmen, willst du nicht ein bißchen mitklampfen und ein paar Takte singen?“

Ist es nicht eher ernüchternd, wenn man miterlebt, wie so ein PR-Heftroman entsteht? Das da nicht die Autoren als simple Chronisten des Sternenhelden Perry agieren, sondern sich selbst die Abenteuer ausdenken müssen? Oder ist das eine ganz neue Erfahrung – das Schreiben nach einem Exposé und eben (mit diesen Einschränkungen) selbst in diesem Universum als Autor agieren zu dürfen? Immerhin ist ja wohl das erste Mal, daß Du nach einem fremden Exposé schreibst…?

Ja, stimmt, das ist das erste Mal, daß ich nach einem fremden Exposé schreibe. Aber es ist eine ganz interessante Erfahrung: ich habe festgestellt, daß ich auch mal ganz gern schreibe, ohne mir alles ausdenken zu müssen. Auch mit einem Handlungsrahmen bleiben noch genug Details, die man selber erfinden muß bzw. darf – speziell bei dem Exposé, das Robert Feldhoff für mich gestrickt hat. Das ließ mir auf eine ziemlich geschickte Weise große Freiheiten, ohne mich zum Schreiben eines reinen „Füllromans“ zu verurteilen.
Ist es ernüchternd? Seltsam, die Frage ist mir jetzt schon -zig-mal gestellt worden, von PR-Autoren, von Klaus Frick… Alle scheinen Angst zu haben, ich könnte mich abwenden mit dem entsetzten Ausruf „Wie profan!“ Deswegen will ich hier nochmals betonen, daß ich durchaus Erfahrung mit dem Schreiben einer Heftserie habe. Jawohl! Das ist sogar meine literarische Heimat. Man höre und staune!

Wie dies, fragt man sich. Nun, ganz einfach. Als ich mit ca. 12 Jahren anfing, auf einer Schreibmaschine zu schreiben, war das erste Werk, das ich erstellte (noch ziemlich mühsam getippt) ein selbstgemachter Heftroman – Band 1 einer eigenen Serie. Den schenkte ich meinem Vater zum Geburtstag, der mir die Freude machte, darüber sehr begeistert zu sein, was mich animierte, die Serie fortzusetzen. Zunächst klaute ich von PR und anderen Serien, daß es nur so krachte, kam aber nach und nach darauf, daß ich mir auch eigene Sachen einfallen lassen konnte und daß das auch Spaß machte. Diese Hefte kursierten dann im Freundeskreis, in der Schule, entgingen mit Müh und Not dem zensierenden Zugriff der jeweiligen Deutschlehrer, animierten Freunde, ihre eigenen Serien herauszugeben, und auf dem Höhepunkt der Welle hatten wir uns auf einen zweiwöchigen Erscheinungsrhythmus eingeschossen. Unausdenkbar, wenn wir damals schon die Möglichkeiten gehabt hätten, die es heute gibt: Computer. Scanner, Laserdrucker, Copyshops. Gab es alles nicht. Alles Handarbeit, original getippt, selbstgemalte Titelbilder usw. Ich besitze die Hefte alle noch, um die 40 Stück sind es, blättere ab und zu darin – einmal im Jahr – und denke, wie gut es war, daß ich unbewußt den Rat befolgt habe, den ich allen geben möchte, die schreiben; Kümmere dich nicht darum, ob es Kritikern und Fachleuten gefällt – interessiere dich nur dafür, wie es deinen Lesern gefällt!

Also, man sieht, was Heftromane anbelangt, bin ich ein alter Hase. Aber damals habe ich nach eigenen Exposés geschrieben, das stimmt.

Was das „ausdenken müssen“ anbelangt: so ist das ja nicht, daß man da Versatzstücke aneinandersetzt aus dem großen Geschichtenbaukasten. Der „goldene Funke“ jeder Geschichte fällt einem immer zu, den macht man nicht. Der fällt vom Himmel, fällt einem in den Schoß, ganz unverdient und unverschuldet, und da liegt er dann und strahlt einen an und sagt: schreib mich!
Was man selber machen muß, ist dann die Feinarbeit. Das Aufschreiben. Alles in zeitliche und räumliche Richtigkeit bringen. Den Text überarbeiten, umstellen, erweitern, kürzen.

Da dieser PR-Roman (wie es scheint) eine einmalige Sache bleiben wird, stellt sich für mich natürlich die Frage, ob du da dann auch mit den Größen der Serie (Perry, Atlan, Bully) agieren durftest…

Ja. Ich durfte sogar frei wählen. Es lief so, daß ich Robert Feldhoff einen Brief schrieb und sagte, ich stelle mir eine Geschichte vor, in der folgende Szene vorkommen kann…xyz… Und er hat das dann als kreative Herausforderung aufgefaßt, die Handlung der 1900er-Bände sich so entwickeln zu lassen bzw. mir daraus genau das Stück herauszuschneiden, das diese Szene erlaubt.
Obwohl ich ihm gesagt hatte, ich schreibe auch etwas anderes. Was halt paßt, ich wollte keinerlei Ansprüche stellen. Wenn er gesagt hätte, mir fällt die Aufgabe zu, einen ganzen Roman darüber zu schreiben, wie Gucky ein Mohrrübenfeld anlegt, gießt, jätet und aberntet, dann hätte ich auch das gemacht.

Es hat ja wohl auch jeder PR-Leser seine Lieblingsfiguren.

Die eine Lieblingsfigur gibt es nicht. Das ist sehr stimmungsabhängig. Als Jugendlicher fühlt man sich vielleicht einsam und unverstanden und ist deswegen von der Figur Alaska Saedelaere fasziniert. Dann wieder gefällt einem Icho Tolot, der Unbesiegbare. Oder die unvergessen schurkische Mirona Thetin. Ronald Tekener, wie er den Aktivator an sich bringt, der Schlingel! Ach, im Grunde könnte ich das ganze Lexikon herbeten. Es wimmelt von Lieblingsfiguren.

Mit Perry Rhodan selber identifiziert sich wohl jeder gern. Aber durch Schriftstelleraugen betrachtet ist er mittlerweile sehr problematisch geworden, weil er so übermenschlich geworden ist. Ich meine, hat dieser Mensch überhaupt noch irgendwelche Schwächen? Jetzt gerade denke ich, ich hätte mir etwas anderes wünschen sollen, nämlich, einen Roman zu schreiben, in dem Perry Rhodan in einen ordentlichen Ehekrach verwickelt ist. Das wäre doch interessant, oder?
Das erscheint mir übrigens die Richtung, die man einschlagen müßte, um Rhodan wieder plastischer zu machen: indem man ihm endlich einmal eine wirkliche Partnerin an die Seite stellt. Eine, die nicht zur blassen Dekoration wird, sondern schon eine Hillary. Mory Abro war mal ein Schritt in die richtige Richtung, Orana Sestore ein Schritt in die falsche. (Gesil habe ich nicht miterlebt.)

Sinn der Sache wäre nicht, Perry Rhodan zu reduzieren auf einen, der abends nach einer geglückten Universumsrettung heim ins Reihenhäuslein am Goshun-See kommt zu Weib und Kindern. Daß er einer ist, der ein, gelinde gesagt, eher ungewöhnliches Leben führt, müssen wir ihm schon zugestehen, und das müßte in einer solchen Beziehung auch so lebbar sein.

Um mal einen Vergleich zu wagen: In „Die Haarteppichknüpfer“ gibt es ja auch ein galaxienumspannendes Sternenreich, und auch einen Unsterblichen… dieser aber zieht es letztlich vor zu sterben. Macht die „Unsterblichkeit“ nicht letztlich den Seriencharakter „Perry Rhodan“ kaputt? Jeder weiß doch, er wird nie sterben!

Perry Rhodan, (c) Johnny BruckES sagt, er hat 20.000 Jahre Zeit. Damit muß man gut umgehen… Atlan wird übrigens lange vorher an diese Grenze stoßen, und da dürfen wir gespannt sein, was man daraus alles machen kann.
Nein, ich finde, es war der genialste Schachzug seiner Väter überhaupt, ihren Helden erst mal unsterblich zu machen. Das schuf ja erst den Raum für die ganze Serie.
Was den Charakter resp. die Figur Perry Rhodan beeinträchtigt, ist eher die zunehmende Ver-über-menschlichung. In dem Band, den ich zum Kanon der Serie beizusteuern die Ehre habe, schreibe ich im Grunde gegen diesen bei allen Unsterblichen in der Serie zu beobachtenden Trend an. Schauen wir doch mal, was alles auf diesen Menschen draufgehäuft wird: Ritter der Tiefe wird er, jetzt ist er Bote Thoregons… Wohnt der eigentlich noch irgendwo? Was liest er vor dem Einschlafen? Geht er noch aufs Klo? Hat so einer noch Lieblingsspeisen? Einen Pullover, den er gern anzieht? Oder trägt er inzwischen nur noch SERUNs auf der nackten Haut oder sonstige Ritterrüstungen?

Die Unsterblichen werden interessant, wenn man ihnen zugesteht, daß sie zwar einen Sonderstatus haben, aber trotzdem Menschen sind, und daß sie sich im Lauf der Zeit verändern. Denn das tun sie ohnehin – man lese nur mal einen Band mit einer zweistelligen Nummer! Wie ist das, 3000 Jahre alt zu sein? Das ist doch eine interessante Frage, und wo könnte man das besser schildern als im PR-Universum?

… da stellt sich natürlich auch die Frage nach der Entmenschlichung dieser Figur. Kann jemand mit solchen Erfahrungen überhaupt noch ein „normales“ Leben führen? Oder hat er sich insgeheim ein Stück Privatleben gerettet… mit vergilbten alten Bildern?

Ja, das ist schon eine Frage, die man sich stellen und irgendwie auch beantworten muß, wenn man eine Figur ernst nimmt.
Und wenn man das verfolgt, entdeckt man ganz neue Dimensionen, die ich mal die „Magie des Alltäglichen“ nennen möchte. Alte Bilder – die nicht vergilbt sein müssen, sie können in digitaler Form ja problemlos die Jahrtausende überstanden haben. Oder Rhodan und Bull, die in einem entspannten Moment ein paar Erinnerungen austauschen. – Es muß natürlich immer zur Geschichte passen.
Da muß ich jetzt mal auf eines meiner eigenen Bücher verweisen: Das, was Leute an der „Solarstation“ fasziniert, ist nicht die Action-Handlung. Die hat man in der einen oder anderen Form schon gelesen oder gesehen – sonst käme man nicht auf Kurzbeschreibungen wie „Das ist ‚Stirb langsam‘ in der Erdumlaufbahn'“. Nein, das Faszinierende ist der Alltag – wie kocht man in der Schwerelosigkeit, wie isst, trinkt, schläft man? Wie ist Sex ohne Schwerkraft?



2. Unsterblichkeit, Zellaktivatoren…

»Als Autor ist man geradezu verpflichtet, das Leben als solches zu kennen, sonst produziert man nur Plastikzeugs…«



Ist der Traum der Unsterblichkeit (wie sie auch Perry Rhodan besitzt) eher ein Alptraum?

Selbst Leute, die glauben, daß sie nach dem Tod in den Himmel kommen, ziehen es vor, länger zu leben. Dieses unser Leben muß also etwas an sich haben, das uns im Grunde und hinter allen Widrigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, gefällt.
Die Idee der Unsterblichkeit ist eine Metapher dafür, dieses Faszinosum tiefer ausloten zu wollen. Wir stellen uns vor, daß wir, wenn wir siebentausend Jahre leben anstatt siebzig, dem Geheimnis tiefer auf den Grund kommen könnten. Vermutlich ist das aber ein Irrtum.
Unsterblichkeit ist für mich nicht per se ein Alptraum, es kommt darauf an, was man daraus macht. Darauf kommt es schon im normalen Leben an – was man daraus macht – aber immerhin, wenn man nichts zuwegebringt, kommt irgendwann der Tod und erlöst einen. Unsterblichkeit erhöht die Herausforderung, die das Leben darstellt. Man ist mehr gefordert.Man kann nicht sagen, so, jetzt habe ich mein Häuschen und meinen guten Job und mein Ehegespons, so kann es jetzt für alle Zeiten bleiben. Das Haus wird einem über’m Kopf zerfallen, vierhundert Jahre als Metzger hält man es auch nicht aus, und so weiter – man muß schon ein bißchen flexibler sein, mit den Veränderungen des Lebens mitgehen.

Also immer wieder: Carpe Diem!? Nicht weil einem die Zeit davonläuft, sondern weil man sonst verrückt wird?

Nicht unbedingt verrückt, aber gemütskrank. Für einen Unsterblichen hat sich die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht automatisch beantwortet und sie wird auch nicht irrelevant, sondern gerade ihm stellt sie sich in unausweichlicher Deutlichkeit.
Zellaktivator, (c) Petra KufnerHmm, wenn ich das alles so durchdenke… ich glaube, allmählich sollte ich den Zellaktivator, den ich da in meiner Schublade habe, doch anlegen…

Die alten Modelle zum Umhängen, waren doch praktischer, als diese neumodischen Chips zum Implantieren.

Nein, das glaube ich nun ganz und gar nicht. Praktischer waren sie höchstens für den Autor, weil sie mehr Handlungsmöglichkeiten boten. Aber ansonsten: man stelle sich vor, ein eigroßes Teil an einer Kette um den Hals zu tragen – wie sieht das denn aus? Selbst wenn es ein sehr kleines Ei ist, trägt es unter der Kleidung auf. Wie schläft man damit? Legt man es ab beim Sex? Kann ein Zellaktivatorträger ohne weiteres schwimmen gehen?

Gut – sagen wir es anders: Sie waren hübscher und stilvoller. ,-)

Ja. Klar. Eine güldene Kette und daran der wertvollste Orden, der vorstellbar ist… Das hat schon mehr Stil als so eine Art Herzschrittmacher für Fortgeschrittene, der irgendwo im Körper sitzt.

Um zurückzukommen zum Bild des „positiven Helden“, das du vorhin beschrieben hast. In „Die Haarteppichknüpfer“ gibt es ja letztlich – aufgrund der Aufteilung in viele einzelne Kurzgeschichten – keinen „großen“ Helden, sondern letztlich nur viele „kleine“. Letztlich aber habe ich den Eindruck, daß deine Hauptfiguren immer einen gewissen Hang zur Melancholie aufweisen (egal ob jetzt der Autor, der in „Der Mann aus der Zukunft“ zu Beginn darüber sinniert, ob er wirklich weiter Geschichten schreiben soll, die letztlich niemand lesen wird; oder die Raumfahrerin, die über ihr Leben sinniert, das bald zu Ende sein wird, oder die Kleiderhändlerin in „Die Haarteppichknüpfer“ die über die vertanen Chancen in ihrem Leben nachdenkt). Letztlich stellen sich aber alle immer wieder den Realitäten des Lebens…

Naja, was sollen sie auch sonst tun?
Ich versuche immer, meine Figuren so handeln zu lassen, wie es wirkliche Menschen tun würden. Und in irgendeiner Weise muß man sich zu den Realitäten des Lebens stellen, da hat man keine Wahl. Selbst eine Verweigerung ist eine Haltung.
Was aber in Romanen passieren kann, ist, daß das Leben nicht so geschildert wird, wie es ist. Dann gelten für die Figuren darin andere Spielregeln, und sie verhalten sich anders als wirkliche Menschen. Als Autor ist man geradezu verpflichtet, das Leben als solches zu kennen, sonst produziert man nur Plastikzeugs.

Ist es Melancholie? Ich weiß nicht. Viele meiner Figuren sind nachdenklich, ja. Aber der Autor im „Mann aus der Zukunft“ ist ein Zauderer, während die Raumfahrerin auf dem Jupitermond Europa das Gegenteil ist. Was sie tut. ist, sich der Realität ihres nahenden Todes zu stellen, auf die gleiche mutige Weise, wie sie ihr ganzes Leben gelebt hat. Sie anerkennt, daß nicht alles ideal gelaufen ist – aber das ist eben menschlich. Die Händlerin ist, wie alle Frauen bei den Haarteppichknüpfern, ein Opfer der spezifischen Unterdrückungsmechanismen dieses Systems.
Na ja, ich erwische meine Figuren oft dabei, daß sie gerade „den Blues“ haben. Das stimmt schon.

Das ist ja wohl auch einer der großen Konflikte beim Schreiben: einerseits muß man WISSEN wovon man schreibt und das Leben kennen, andererseits sitzt man als Autor immer allein vor der Schreibmaschine/Computer und arbeitet oft monatelang an einem Roman.

Ja, das ist der eigentliche Grund, warum Autoren, die früh anfangen zu veröffentlichen und/oder sehr viel veröffentlichen, dazu neigen, irrelevante Bücher zu produzieren. Man wirft solchen Leuten gern vor, „Schnellschreiber“ oder „Vielschreiber“ zu sein, aber dieser Vorwurf trifft es nicht. Das Problem entsteht, wenn jemand ein „Nur-Schreiber“ ist. Nur schreiben und nicht leben – das geht nicht.
Mir persönlich ist der Gott der Schriftsteller offenbar gewogen, denn er sorgt immer wieder dafür, daß mich das Leben hart rannimmt und daß es kein Entkommen an die Tastatur gibt.



3. Das Leben und der Bücherschrank

»Mich selber hätte ich sicher auch nicht gelesen, wenn ich’s nicht zufällig selber wäre…«


Da drängt sich ja die Frage nach dem „privaten“ Andreas Eschbach auf. Vom Studium der Luft- und Raumfahrttechnik kann man im Klappentext der Romane lesen.

Wenn wir hier kein dickleibiges Werk fabrizieren wollen, müssen wir die Frage nach dem „privaten“ Andreas Eschbach sehr behutsam behandeln.
Ja, ich habe an der TU Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik studiert. Insgesamt 24 Semester lang. Im Rückblick die größte Verschwendung von Zeit und Geld, die ich hätte begehen können. Wie das Studium an einer deutschen Universität überhaupt nur zu ertragen ist, wenn man noch nichts von der Welt gesehen hat. Auf einer Notenskala von 1 bis 6 kann ich meiner Alma Mater höchstens eine 8 geben.

Aber 24 Semester, das klingt jetzt, ohne jetzt indiskret werden zu wollen, als wäre da einiges nebenher gelaufen?

Ich war verheiratet, hatte Frau und Kind und musste Geld verdienen. Zuerst als Hiwi, bis der für das Personal zuständige Mensch an dem betreffenden Institut sich auf die Grundrechenarten besann (insbesondere die Division und Multiplikation) und feststellte, daß sein Budget nicht für alle Hiwis reichte, die er eingestellt hatte. Die einfache Lösung: alle Verträge auf die Hälfte reduzieren.
Da kam ich – notgedrungen im wahrsten Sinn des Wortes – in Kontakt mit einer Softwarefirma, die von Kommilitonen aus dem Semester unter mir – ebenfalls nebenher – gegründet worden war und sich gerade in die Gewinnzone hocharbeitete. Das war 1986, mitten in der Computer-Aufbruchsstimmung, als jeder, der eine Schreibmaschine von einem PC unterscheiden konnte, eine Computerfirma aufmachte. Bei dieser winzigen Firma, die noch nicht mal ein Büro hatte, machte ich meine ersten Nebenjobs als Softwareentwickler, und irgendwie ging das ganz gut (hat ja auch was mit Schreiben zu tun…), und im Lauf der Zeit wurde es immer mehr und immer interessanter.
Als ungeahnter Vorteil trotz aller PCs erwies sich, daß ich als Hiwi gelernt hatte, mit diversen Großrechnern umzugehen. Man muß sich vergegenwärtigen, daß damals noch Steinzeit war. Im 2. Semester hatten wir EDV-Grundlagen, und das hieß damals noch, Lochkarten stanzen. Heute weiß kaum noch jemand, was das überhaupt ist. Und während alle anderen noch Lochkarten stanzten, hatte ich schon Zugang zu einem Bildschirmterminal. Und als alle anderen Zugang zu einem Bildschirmterminal hatten, aber mit einem Schüler-Account, hatte ich einen Account, mit dem man auch wirklich etwas machen konnte, hatte Zugriff auf Handbücher usw.
Damit war ich der ideale Mann für einen Großauftrag, der sich über ein Jahr hinzog, mich dem Studium zusehends entfremdete und mich dafür zu einem festen Mitarbeiter besagter Firma werden ließ, die mittlerweile auch ein Büro hatte und deren Gründer inzwischen vorzeigbare Autos fuhren. In dieser Zeit erlebte ich Sachen, die man in keinem Film und keinem Buch bringen könnte, weil sie zu unglaubwürdig wären. Da saß ich etwa an einem Tag in dieser weltweit tätigen Firma und programmierte die Steuerung für eine Versandanlage, die 26 Millionen Mark gekostet hatte, führte Besprechungen mit dem Geschäftsführer und seinen Abteilungsleitern, in deren Verlauf diese Herren über Hunderte von Mitarbeitern ergriffen meinen Worten lauschten – und am nächsten Tag hocke ich im Büro eines vertrottelten Hochschulmenschen, der auf seinem chaotischen Schreibtisch nur mit Mühe ein leeres Blatt Papier findet, auf das er meinen Namen schreibt und sonst nichts während des ganzen Gesprächs, bei dem er mich behandelt, als wäre ich irgendein lästiges Insekt und ein nutzloser Idiot obendrein.

Ah ja, die Diplomarbeit. An meinem ersten Thema (es hatte etwas mit Freiformflächen zu tun – man vermeide es, dieses Wort in meiner Gegenwart zu benutzen) werkelte ich ein halbes Jahr herum, mußte Verlängerung beantragen, versuchte irgendwie, ein Fädchen zu finden, an dem ich es aufwickeln konnte. Dann erzähle ich auf einer Party davon, und jemand erklärt mir, es gäbe einen mathematischen Beweis, daß das Problem nicht lösbar ist. Boing! Ich wutentbrannt zu meinem Betreuer, der das ganz konsterniert zur Kenntnis nahm, vor allem deshalb, weil meine Arbeit, wie ich bei der Gelegenheit entdeckte, das Kernstück seiner Doktorarbeit sein sollte, sozusagen der Löwenanteil: Er hätte ein Vorwort und ein Nachwort und ein bißchen drumrum geschrieben, seinen Doktor damit gemacht und zudem das Ganze, in ein Stück Software verpackt, lukrativ an die Industrie verkauft.
Anlaß genug, den Betreuer zu wechseln. Der nächste gab mir ein Thema, das ziemlich interessant war – es hatte mit Expertensystemen zu tun, was damals groß in Mode war -, aber diesmal klopfte ich alles ein bißchen gründlicher ab. Und siehe da, der gute Doktor der Ingenieurwissenschaften traute mir wohl allerhand zu, denn das, was er mir da für eine 6monatige Diplomarbeit zu tun aufgeben wollte, hätte ein Softwarehaus mit etwa 10 Mannjahren Aufwand veranschlagt.

Und so war ich zum dritten Mal auf der Suche, aber nur noch halbherzig. Eher viertelherzig. Ich hatte alle Prüfungen, aber es schien kein Diplomarbeitsthema für mich zu geben. Irgendwann fand ich dann wieder jemanden, und der hatte ein Thema, aber da hatte ich einfach keine Lust mehr. Ich kam mir vor wie im Kindergarten und konnte das Ganze einfach nicht mehr hinreichend ernst nehmen, und so ließ ich es. Hiermit oute ich mich: Ich habe mich aus dem 24. Semester nicht mehr zurückgemeldet, wurde daraufhin zwangsexmatrikuliert und ließ mich von besagter Softwarefirma, deren Chefs inzwischen Porsches fuhren, anstellen.

In einem anderen Interview (erschienen in den ANDROMEDA NACHRICHTEN 164) sagtest du „Warum SF? Das steckt in mir drin, meine Schwester sagt, etwas anderes könne man sich bei mir gar nicht vorstellen.“ Also warst du schon von frühster Jugend an mit dem Virus angesteckt?

Ja, ich glaube schon. Als Vierjähriger habe ich „Raumpatrouille Orion“ gesehen, und spätestens ab da war ich für das normale Leben verdorben.

War das so ein prägendes Ereignis? Oder wurde da an etwas gerührt, was sowieso in Dir schlummerte?

Wahrscheinlich das. SF war kein Virus, sondern eine Erbanlage. Oder Karma, vielleicht.

Mal abgesehen von Perry Rhodan – was sammelte sich denn so in Deinem Bücherschrank an? Und welche Bücher würdest Du davon einem Freund mit guten Gewissen zum Lesen geben?

Ich habe eine kleine, feine Sammlung von SF-Romanen von Autoren wie Heinlein, Silverberg, Brunner, Arthur C. Clarke usw., wobei kaum ein Titel jünger als 15 Jahre ist, würde ich jetzt mal ohne Nachsehen schätzen. Also ein bißchen old fashioned, was mich immer in Peinlichkeiten bringt, weil ich die aktuell angesagten Autoren nicht gelesen habe. Mich selber hätte ich sicher auch nicht gelesen, wenn ich’s nicht zufällig selber wäre.
Von Iain Banks habe ich immerhin endlich mal was gelesen, die „Die Wespenfabrik“, die ich auch ganz eindrucksvoll finde, bloß nicht unter SF einordnen würde. Allen SF-Fans empfehlen möchte ich dagegen den Roman „Alle Menschen sind sterblich“ von Simone de Beauvoir, den man natürlich nicht unter SF findet, obwohl er geradezu das Musterbeispiel dafür ist, wie meiner Meinung nach SF sein sollte. Darin geht es übrigens auch um das Thema Unsterblichkeit – weil doch gerade so viel von Zellaktivatoren die Rede war… :-)

Außer SF – und einer Menge Sachbüchern zu den entlegensten Themen – findet man in meinen Regalen auffallend viele Romane, die man irgendwie in die Schublade „Thriller“ einordnen könnte. Wie ich bestimmt schon öfters gesagt habe, bin ich ein Verehrer von Allistair McLean, der sozusagen der Grisham der 60er Jahre war und in meinen schriftstellerischen Jugendjahren mein absolutes Idol. Heute muß ich zugeben, daß er in den späteren Romanen ziemlich nachgelassen hat, aber er hat einen Platz in meinem Herzen und den wird er behalten.

Eine große Seelenverwandtschaft fühle ich zu Michael Crichton, von dem sich auch das eine oder andere Werk findet. „Jurassic Park“ ist ein wirklich gutes Buch, dem der Film nicht annähernd gerecht wird. Ansonsten finden sich Bücher von Grisham, Clancy, Simenon, Stephen King… Wie man sieht, neige ich dazu, Bücher zu kaufen, bei denen ich mich darauf verlassen kann, daß sie spannend sind. Ziemlich viele Amerikaner, hmm?

Daraus könnte man ja schließen, das deutsche Romane bei dir meist automatisch unter dem Label „langweilig“ oder „dröge intellektuell“ (man muß sich ja der berühmten Vorbilder würdig erweisen!) eingeordnet werden?

Nicht automatisch, aber ich mache einfach immer und immer wieder diese Erfahrung. Der Deutsche Autor will beeindrucken, aber um Himmels Willen nicht unterhalten. Und da werden dann Sätze gedrechselt, daß es nur so raschelt, auf daß alle Welt beeindruckt sei vom „Stil“ des Autors. Aber was soll das? Das wäre so, als gucke man einen Film an und denkt dabei: wow, was für ein toller Special Effect! Ein Stil, den man beim Lesen bemerkt, ist ein schlechter Stil, genau wie ein Special Effect oder eine Kameraeinstellung oder dergleichen, die einem als solche auffällt, als mißlungen gelten muß.

Wir haben uns ja auch schon mal darüber unterhalten, daß ein Roman, der dich nicht schon auf den ersten Seiten fesselt, dann meist ungelesen bleibt…

Ja. Da habe ich keine Geduld und kenne keine Gnade. Ich arbeite so viel, da will ich nicht auch noch beim Lesen arbeiten müssen.

Bietet die SF (oder sagen wir besser: Phantastik) wirklich mehr an Freiheit für einen Autor als die sogenannte „Mainstream“-Literatur?

Was die Phantastik anbelangt, auf jeden Fall. Bei Science Fiction oder gar Fantasy habe ich dagegen das Gefühl, daß es da irgendwo schon so eine Art Romanbaukasten gibt, aus dem man alle Teile entnehmen muß, um akzeptiert zu werden, weil die Leser eine ganz enge Erwartungshaltung entwickelt haben.

Ich gehe mittlerweile ja dazu über einerseits den Begriff SF wesentlich freier zu benutzen, und andererseits mich auch eher als „Phantastikleser“ zu bezeichnen (Phantastik als Überbegriff für die „phantastische Literatur“). Also könnte das Label „SF“ für weitere „Eschbachs“ bald zu eng werden, und man wird eher auf den Begriff „Phantastik“ ausweichen müssen?

Ganz bestimmt. Es ist nur so blöd, zu sagen, „ich schreibe phantastische Romane„. Aber im Prinzip ist das meine Gattung – der phantastische Roman. Wobei das eine ziemlich große Gattung ist, ungefähr die Hälfte der Literatur insgesamt. Das reicht von Borges und Gabriel Garcia Marquez über Tolkien und Michael Ende bis zu Perry Rhodan und Geisterjäger Sinclair.



4. Zeitreise und Jesus Video

»Ich bilde mir lediglich ein, daß ich einen ganz neuen Dreh gefunden habe, das zu erzählen…«


Um jetzt die Kurve zu kriegen: Zeitreise ist ja ein klassisches Konzept der SF (und auch schon vorher – wie bei Mark Twains „Yankee aus Conneticut an König Artus‘ Hof“) und egal ob jetzt Heinlein in „All you zombies“ eine perfekte Schleife kreiert, oder Ward Moore in „Der grosse Süden“ vom Bürgerkrieg berichtet – immer bleibt die Frage nach den Konsequenzen. In deinem nächsten Roman „Jesus Video“ geht es ja auch um Zeitreise… und die moralische Frage, ob man das überhaupt darf, oder?

Nein, im Grunde ist das nicht die Frage. Es ist mir noch nicht so recht gelungen, das, worum es in dem Roman geht, in kompakter Form zusammenzufassen. Ich tue mich auch immer entsetzlich schwer mit solchen Inhaltsangaben.
Der Roman beginnt mit der Entdeckung der Bedienungsanleitung einer Videokamera, die erst in 3 Jahren auf den Markt kommt. Das Papier liegt aber seit 2000 Jahren in einem Grab. Die eigentlichen Romanhelden sind die Finder dieser Anleitung. Sie sehen keine andere Erklärungsmöglichkeit als die, daß sie das Überbleibsel einer Zeitreise in die Zeit Jesu‘ gefunden haben, die erst stattfinden wird! Und in der Folge geht es darum, ob es noch ein anderes Artefakt gibt, nämlich die zugehörige Kamera, die samt Videoaufnahmen von Jesus in irgendeinem Versteck seit Jahrtausenden wartet…

Ich bezog mich da auf deine Homepage: „Mit anderen Worten: Wenn man die Pläne des unbekannten Zeitreisenden nachvollziehen könnte, könnte man seinen Komplizen in der Zukunft zuvorkommen! Aber kann man das? Und darf man es?“
Vielleicht habe ich das falsch verstanden.

Vielleicht habe ich es missverständlich geschrieben!
Das ist schon ein Aspekt in der Geschichte, aber nicht der wichtigste. Nicht so wichtig jedenfalls, wie es in der Beschreibung klingt.
Der Roman spielt ausschließlich in der Gegenwart. Im Grunde ist die Frage einfach: Angenommen, ich bin ein Zeitreisender, der in die Zeit Jesu gereist ist und eine Reihe Videoaufnahmen gemacht hat, aber nicht mehr zurück in meine Gegenwart kann. Angenommen ferner, daß mir klar war, daß die Zeitreise eine Einbahnstraße war – dann habe ich mit einem Kumpel, der in meiner Gegenwart geblieben ist, verabredet, die Videos gut konserviert an einem bestimmten Ort zu hinterlegen, an dem er sie praktisch sofort ausgraben kann, nachdem ich gestartet bin.

Die Frage ist, wo dieser Ort sein kann. Von welchem Stück Erde in diesem Land, das eine so bewegte und unübersichtliche Geschichte hat, kann ich sicher sein, daß etwas, das ich dort im Jahre 35 verstecke, bis ins Jahr 2000 oder so unbeschadet überdauert?

Jesus Video, Ausgabe Schneekluth-Verlag

Also ist „Jesus Video“ eine Art „Thriller“, Detektivroman mit Wissenschaftlern (?), die einem Geheimnis nachforschen? Und das „phantastische Element“ ist die noch stattzufindende Zeitreise?

Lass dich überraschen. Erwarte einen Thriller und lass dich überraschen.

Die Sache bringt wohl auch mit sich, daß man sich zwangsläufig mit jeder Menge Geschichte, Geographie und Geologie befassen muß? Also jede Menge Recherche?

Ja, unglaublich viel Recherche. Zeitweise beschlich mich die Frage, ‚haben die in der Landesbücherei jetzt überhaupt noch Bücher für die anderen Leute oder steht gerade alles bei mir hier herum?‘

Die Zeit von Jesus Christus… Ist das wirklich für die westliche Welt DER Zeitpunkt schlechthin, das wichtigste Reiseziel?

Nein, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß es für manche Leute das wichtigste Reiseziel wäre. Und wenn ich in Israel ein Artefakt finde, das auf eine Zeitreise ins Jahr 20 oder so schließen läßt, dann liegt, glaube ich, der Schluß nahe, daß sich da jemand für den historischen Jesus interessiert hat.

Grins… aber als Autor hast du ja die Zeit und den Ort gewählt…

Nein, nein, so ist das nicht. Die Geschichte hat mich gewählt – dafür kann ich nichts… :-)

Zu der Idee Videoaufnahmen von Jesus zu machen… Da erinnere ich doch gerne an Douglas Adams und den Protest der Philosophen: „Ich meine, was haben wir dann davon, daß wir uns halbe Nächte mit der Frage um die Ohren schlagen, ob’s nun einen Gott gibt oder nicht, wenn diese Maschine euch am nächsten Morgen einfach seine verdammte Telefonnummer ausspuckt?“

Und was wohl geschieht, wenn man dann da anruft? „Guten Tag, hier ist der Anrufbeantworter von Gott. Ich bin im Augenblick nicht zu erreichen…“?

Es gibt ja von Michael Moorcock den Roman „I.N.R.I, oder: Die Reise mit der Zeitmaschine“ in der Karl Glogauer auch in diese Zeit reist, nur um festzustellen, das der Original-Jesus nur ein lallender Idiot war. In Folge aber übernimmt Glogauer zuerst unbewußt die Rolle von Jesus und so bleibt die Geschichte bestehen.

Ich wußte nicht, daß das von Moorcock war. Ich habe das, glaube ich, als Jugendlicher mal gelesen und erinnerte mich daran. Aber es muß unzählige Romane geben, die eine ähnliche Thematik haben – Zeitreise in die Zeit Christi. Ich bilde mir lediglich ein, daß ich einen ganz neuen Dreh gefunden habe, das zu erzählen.

Bei den 9. SF-Tagen gab es einen eigenen Programmpunkt zu diesem Thema, und da wurden auch andere interessante Wunschziele bei einer Zeitreise genannt.

Welche denn?

Uih, das ging vom alten Ägypten, über das antike Griechenland (Bibliothek von Alexandria!), Babylon, China, Rom etc. bis in die ferne Zukunft mit dem Wunsch, daß die dortige Medizin Unsterblichkeit oder zumindest Lebenverlängerung liefern könnte. Was wäre denn Dein Wunschziel?

Auf jeden Fall die Zukunft. Das Jahr 3000 vielleicht?
Je mehr ich mich mit der Geschichte befasse, desto mehr graust es mir. Ich glaube nicht, daß es in der Vergangenheit eine Zeit gab, in der man besser leben konnte als heute. Schon wenn ich eine Dokumentation aus den bundesrepublikanischen 50er-Jahren sehe, bin ich entsetzt über das Maß an Verbohrtheit und Enge, das diese verblichenen Schwarzweißbilder ausstrahlen. Und je weiter man zurückgeht, desto unerträglicher wird es.

Man müßte wohl sehr weit zurückgehen und das Leben eines Einsiedlers schätzen… wenn man dort bleiben wollte.

In die Zeit der Neandertaler… Aber ohne Strom, fließendes Wasser, Leihbücherei und Internetanschluß? Nein, das wäre nichts für mich.



5. Die Zukunft

»Wahrscheinlich bin ich in meinen selbstkritischen Phasen erbarmungsloser mit mir als jeder Rezensent…«


Ist das Ziel Kants und der Aufklärung „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Hilfe eines anderen zu bedienen“ denn jemals zu erreichen?
Wir leben im sogenannten Informationszeitalter… und gleichzeitig nimmt, wie es mir scheint, die Bereitwilligkeit der Menschen ab sich wirklich selbst ungefilterte Informationen zu beschaffen. Als wäre es mehr das „Medienzeitalter“… Man wird unkritischer.

Nein, da muß ich entschieden widersprechen. Das ist eine der pessimistischen Selbsttäuschungen, denen wir uns aus seltsamen Gründen gerne hingeben. Aber es stimmt nicht. Man denke nur an den Golfkrieg (den Ersten Golfkrieg…). Die Berichterstattung im Fernsehen damals. Vor allem die sachten Anklänge an den Tonfall der Wochenschauen aus dem Zweiten Weltkrieg sind praktisch jedem sauer aufgestoßen. Mit so etwas kann man den Leuten heutzutage nicht mehr kommen.

Natürlich gibt es trotzdem hysterische Massenreaktionen, und die wird es auch immer geben. Das ist ein Phänomen der Vermassung, nicht der geistigen Entwicklung der Menschen als Individuen.

Was die Aufklärung anbelangt, ist das natürlich eine geistige Strömung, die ihrerseits Reaktion auf etwas anderes war und deshalb notgedrungen in ein anderes Extrem gehen mußte. Extreme Einstellungen erreichen ihr Ziel nie. Ich glaube an die Mitte. Die Entwicklung wird immer ein Kompromiß aus vielen widerstreitenden Einzelbestrebungen sein.

Würdest Du Dich als politisch engagierten/interessierten Mensch bezeichnen?

Was ist Politik? Ich interessiere mich für die Vorgänge um mich herum, für die plötzlichen und die schleichenden Veränderungen, und wie wahrscheinlich jeder habe ich so meine Vorstellungen, was der Mann, der das Amt des Bundeskanzlers bekleidet, anders machen sollte.
Aber ich bin nie in einer Demo mitgelaufen, habe nie einen „Atomkraft – nein danke“-Sticker irgendwo aufgeklebt usw. Ich habe ein Abneigung gegen alle Massenphänomene, seien sie nun für oder gegen irgendwas. Insofern kann man mich nicht als engagierten Menschen bezeichnen.

Der Mann aus der Zukunft, (c) ZeitWenn ich das richtig gelesen habe, hast Du Deine Kurzgeschichte „Der Mann aus der Zukunft“ auf Kassette gesprochen und als Neujahrsgruß zum Anhören verschickt. Was kann man dann als nächstes von Dir nach bald 3 Romanen, ein paar Kurzgeschichten und einem PR-Heftroman erwarten? Hörspiele? Filmdrehbücher?

Ich habe sogar eine Variante im Hinterkopf, auf die wahrscheinlich niemand je käme, daß man das überhaupt machen kann, aber damit muß ich noch ein wenig warten.
Ansonsten – ich versuche, flexibel zu sein. Ich will nicht unbedingt ‚Medien-Hopping‘ betreiben nach dem Motto ‚Roman ist abgehakt, aber ein Theaterstück habe ich noch nicht geschrieben‘, werde also sicher fleißig einen Roman nach dem anderen schreiben, bis ich eines hoffentlich fernen Tages tot vom Schreibtischstuhl kippe. Aber ich bin in einer Phase, in der ich ausprobiere. Die Spannweite zwischen „Haarteppichknüpfern“ und „Solarstation“ wird ja oft angesprochen. Das ist aber erst der Anfang. „Jesus Video“ wird wieder ganz anders. Es gibt keine Formel, die ich immer wieder aufs Neue anwende und mit Text auffüllen, sondern ich versuche einfach, jeder Geschichte die ihr gemäße Form zu geben. Im Grunde ist es das, etwas ganz einfaches. Die gemäße Form könnte auch einmal in andere Medien führen, warum nicht?

Und wie schreibt der Autor Eschbach – konzentriert und nach Zeitplan, oder eher im „geistigen Rausch“…

Der Autor Eschbach setzt sich hin, ruft sein Schreibprogramm auf, liest die letzten paar Seiten nochmals durch, bringt hier und da ein paar Korrekturen an, hält skizzenhaft die Ideen für das nächste zu schreibende Kapitel fest und schreibt dann da weiter, wo er aufgehört hat. Und das führt dann bisweilen in eigenartige geistige Zustände, die jeder Schriftsteller kennt, die man aber nicht wirklich beschreiben kann.

Und Du hast auch mal eine „Motivationswand“ erwähnt…

Das ist die Wand hinter mir, an der hübsch gerahmt diverse Urkunden diverser Literaturpreise hängen, ein paar nette Zeitungsauschnitte und was eben dazu geeignet ist, einem durch die dunklen Stunden zu helfen, in denen man am Sinn seines Tuns zweifelt.

Dein nächster Roman trägt den Arbeitstitel „Kelwitts Stern“.

Das ist alles noch so in der Schwebe, daß ich dazu überhaupt nichts sagen möchte. Es gibt einen Vertrag, es ist schon Geld geflossen, und das Erscheinungsdatum ist Herbst 1999. Mehr kann man zur Zeit nicht dazu sagen.

Interessanterweise hast Du ja schon zwei Romane veröffentlicht, aber erst drei Kurzgeschichten. Schreibst Du lieber Romane, oder sind die einfach rentabler? Gibt es da vielleicht Schubladen voller unveröffentlichter Eschbach-Kurzgeschichten?

Also, erstens ist „Die Haarteppichknüpfer“ ja im Prinzip nichts anderes als eine Aneinanderreihung von 17 Kurzgeschichten, die so tun, als seien sie ein Roman. Was hoffentlich beweist, daß ich der Kurzgeschichte als Form durchaus zugetan bin. Ich habe auch noch allerhand unveröffentlichte Kurzgeschichten, durchaus, wenn auch eher auf Festplatten und Disketten als in Schubladen… Aber nicht alles, was ich je geschrieben habe, gefällt mir heute noch so gut, daß ich es anderen zumuten möchte.
Das Problem mit Kurzgeschichten ist einfach, daß es kaum Möglichkeiten gibt, welche zu veröffentlichen. Wenn man angemessenes Geld dafür haben möchte, im Grunde gar keine.

Ulrich Bettermann bezeichnet Dich in einem Conbericht über die SF-Tage NRW als „ersten Perry Rhodan-Autor“ mit eigener Internet-Homepage.

Naja, das mag sein, aber was sagt das? Der eine bastelt eine Homepage, der andere fährt lieber Kanu. Das Internet ist heute lediglich so eine Art virtueller Popstar, deshalb erregt das eine mehr Aufmerksamkeit als das andere.

Wie siehst Du das Internet und seine Zukunft? Verändert das Internet die Art der Kommunikation zwischen den Menschen? immerhin kann ich, wenn ich will, zu jeder Tages- und Nachtzeit z.B. mit Menschen rund um den Globus chatten und Meinungen austauschen.

Mit dem Chatten habe ich keine große Erfahrung, aber Emails kann ich mir aus meinem Leben nicht mehr wegdenken. Ohne nun in eine große Internet-Diskussion einsteigen zu wollen – ein andermal vielleicht -, kann ich das vielleicht so zusammenfassen, daß ich als den Hauptvorteil des Internet empfinde, daß es unwichtiger wird, wo ich bin oder wo der andere ist. Ich denke, daß jedes Medium seine spezifische Art der Kommunikation entwickelt, sei es nun das Telefon, der Brief oder das Internet. Insofern verändert das Internet natürlich die Kommunikation zwischen den Menschen – es fügt eine weitere Facette hinzu.

Wie gehst Du mit Kritik um? Ärgerst Du Dich darüber?

Wie gehe ich mit Kritik um? Hmm.
Meistens erreicht mich diese ja in Form irgendwelcher Rezensionen, und die lese ich eigentlich immer, freue mich, wenn sie gut ausfallen, denke „Naja“, wenn einer bloß den Klappentext oder den Verlagsprospekt abgeschrieben hat, und ärgere mich, wenn einer meine Bücher verreißt. Das hat es auch schon gegeben. Glücklicherweise habe ich seit meiner Jugend einen so großen Vorrat an Bestätigungen angesammelt, daß ich mir meiner grundsätzlichen Fähigkeit zu schreiben sicher bin und mich auch eine üble Kritik nicht mehr auf die Idee bringen wird, daß ich es vielleicht besser aufgeben sollte.
Was nicht heißt, daß ich glaube, nichts mehr dazulernen zu müssen. Im Gegenteil, wahrscheinlich bin ich in meinen selbstkritischen Phasen erbarmungsloser mit mir als jeder Rezensent. Ich bemühe mich immer, den jeweils aktuellen Roman besser zu schreiben als die bisherigen, und habe manchmal das Gefühl, es gelingt.

Zum Abschluß – was wolltest Du schon immer mal gefragt werden?

Ähm, gute Frage. Aber da fällt mir nichts ein, sorry. Ah, aber da fällt mir noch etwas ein, das ich loswerden will: Nämlich, daß die PR-Autoren, soweit ich sie kennengelernt habe, samt und sonders ein bemerkenswert gutgelaunter und sympathischer Haufen sind. Keine Ahnung, warum – vielleicht wegen des intergalaktischen Überblicks, den man als ein solcher gewinnt? Da schlummert noch ein Geheimnis, da bin ich mir sicher…!

Vielen Dank für das Gespräch!



(Das Interview entstand per eMail zwischen dem 16. und dem 27. April 1998)