Filmkritik: The One

Gabriel Law (Jet Li) hat 123 Menschen getötet. Genau genommen kein 123-facher Mord, sondern 123-facher Selbstmord. Denn er hat seine 123 „Gegenstücke“ aus ebenso vielen Parallel-Universen über die Klinge springen lassen. Gabriel weiss: wann immer einer von ihnen stirbt, verteilt sich seine Lebensenergie unter den verbleibenden Gabriels. Und wenn er der Letzte ist, „the One“, dann könnte er ein Gott sein.

The One Poster

+The One (2002)

Mittlerweile jagt eine eigene Spezialeinheit Gabriel durch die Dimensionen. Doch er entwischt immer. Langsam wird es knapp, denn nur noch ein weiterer Gabriel ist übrig. Dieser ist Polizist in unserem Universum. Auch er spürt, dass sich etwas verändert – er wird immer stärker, schneller, schlauer. Doch gegen sein skrupelloses Ebenbild hat er nicht den Hauch einer Chance. Die Dimensionsagenten erklären ihm, dass sie den „bösen“ Gabriel nicht einmal töten können, denn dann würden ja alle Kräfte auf den „guten“ Gabriel übergehen, was unvorhersehbare Folgen hätte.

Es kommt zu einer Mann und Maschine zermürbenden Schlacht, an deren Ende der Zweikampf zwischen den beiden letzten „Gabriels“ stehen muss.

Puh, ich hoffe, die Story halbwegs verständlich rübergebracht zu haben. „The One“ ist ein Film, den man sich schenken kann, wenn man das Parallel-Welt Prinzip nicht peilt. Als Vorbereitung hilft es, sich ein paar Episoden der Serie „Sliders“ reinzuziehen.

Überhaupt trifft man es gar nicht schlecht, wenn man „The One“ als „Sliders“ von den Matrix-Machern zusammenfasst. Das Prinzip ist dasselbe wie bei der TV-Serie, in der Machart haben sich Morgan und Wong (Autoren u.a. von „X-Files“, „Space 2063“ und „Final Destination“) deutlich an den Wachowski-Brüdern orientiert. Das Leben ist ein Kreislauf, waren es doch die Wachowski-Brüder, die sich bei dem Jet Li-Film „Black Mask“ Inspiration und Kampfchoreograph für „Matrix“ holten.

Das Multiversum
Gabriel Laws Opfer in den Paralleluniversen

In den USA stürzte „The One“ nach einem guten Start böse ab, und brachte seine 50 Millionen Dollar Produktionskosten nicht wieder ein. In Deutschland wird der Start seither ständig verschoben, derzeit spekuliert man auf den Juli 2002.

Eine Schande, denn „The One“ ist nicht weniger als ein Kracher. Ich bin froh, endlich mal wieder einen Film so richtig loben zu können. Man unterstellt mir ja sonst, ich würde immer alles nieder machen. Gar nicht wahr.

„The One“ hat alles, was einen echten Action-Knaller vom Schlage Joel Silver und/oder James Cameron ausmacht: Einen scheppernden Soundtrack, jede Menge Geballer, irrwitzige Stunts, einen coolen Future-Look, Blechschäden, und einen Helden, der bis zum triumphalen Ende Blut, Schweiss und Tränen vergießt.

Jet Li kämpft gegen sich selbst
Jet Li kämpft gegen sich selbst!

Was die Kampfszenen angeht, so wird „Matrix mitunter übertroffen – nicht in der Perfektion, aber im Einfallsreichtum. Regisseur Wong setzt dabei nicht (wie heute üblich) auf „wire work“, also Stuntleute, die mit Hilfe von Drahtseilen springen, sondern auf CGI. Wenn Jet Li zwei Polizei-Motorräder lässig hochhebt und damit einen Polizisten plättet, dann ahnt man das Werk einer guten Grafiksoftware. Das tut dem Spaß an der Sache aber nicht den geringsten Abbruch, denn „The One“ ist ein lupenreiner Comic. Oder einer dieser momentan so beliebten PC-3D-Shooter á la „C & C: Renegade“ und „Serious Sam“. Ernst nehmen kann man das Gezeigte nicht. Sollte man auch nicht.

Die Story wird schnörkellos erzählt, und ständig kracht es irgendwo – einschlafen ist nicht. Gepaart mit der guten Kameraarbeit und dem exzellenten Design erwirbt sich „The One“ das Prädikat „bestes Popcornkino“.

Natürlich ist auch „The One“ nicht perfekt. Morgan und Wong kommen vom Fernsehen, und das merkt man. Wie schon bei „Final Destination“ hätte man die Story auch in 50 Minuten erzählen können, vielleicht sogar müssen. Denn bei 90 Minuten bleiben einfach zu viele Fragen offen – angefangen damit, warum es eine endliche Anzahl von Gabriels in einer unendlichen Anzahl an Universen geben soll (denkt mal drüber nach, macht keinen Sinn). Die Länge des Films macht die Logikfehler deutlicher, als das etwa bei „X-Files“ der Fall ist.

Hinzu kommt, dass Jet Li nicht schauspielern kann. Oder englisch sprechen. Na gut, kann man einwerfen, das hat Schwarzeneggers Karriere ja auch nicht geschadet – aber die „steirische Eiche“ entspricht ja wenigstens noch der westlichen Vorstellung eines „echten“ Mannsbilds. Das drahtige Schlitzauge Li hingegen wirkt immer so, als habe man ihn sowieso nur wegen seiner Fähigkeit angeheuert, Arme und Beine in einer Weise von sich zu strecken, die definitiv vom lieben Gott nicht vorgesehen war.

Die Nebenfiguren können das Manko des Hauptdarstellers nicht ausgleichen, denn wie in „Final Destination“ bleiben sie schwach. Dafür gibt es ein Wiedersehen mit diversen Schauspielern aus früheren Morgan & Wong-Produktionen (man wird das Gefühl nicht los, dass Carla Guginos Rolle eigentlich für Kristen Cloke geschrieben wurde).

Einziges echtes Ärgernis in „The One“ ist die vorletzte Szene, in der wir erfahren, was nun aus dem „guten“ Gabriel wird. Das ganze Skript läuft 90 Minuten lang auf eine klares und logisches Ende hinaus – welches dann zugunsten einer völlig banalen Wendung rausgeworfen wird! Das riecht zehn Meilen gegen den Wind nach Studio-Entscheidung, weil man wohl ein deutlicheres Happy End wollte. Leider sticht es heraus wie der Struwelpeter bei einer Skinhead-Veranstaltung.

Doch selbst die Schwächen können den Gesamteindruck nicht schmälern – „The One“ ist eine Genre-Perle, die man sich im Kreise guter Freunde auch prima zwei- oder dreimal geben kann.

© Torsten Dewi (Text)