Edgar Allan Poe – Arthur Gordon Pym

Arthur Gordon Pym

Originaltitel: »Arthur Gordon Pym«
Übersetzt von Hans Schmid
Herausgegeben von Hans Schmid und Michael Farin
Hardcover im Schuber
Mare Buchverlag, Hamburg 2008
ISBN 978-3-86648-092-6
525 Seiten, 39,90 €

Unter den zahlreichen Neuerscheinungen und Reprints aus Anlass des 200. Geburtstages von Edgar Allan Poe gibt es eine herausragende: die sorgfältig kommentierte und schön illustrierte Neuübersetzung von Poes einzigem Roman »The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket« aus dem Jahr 1838. Die Herausgeber haben sich bemüht, dem Text einen literaturwissenschaftlichen Rahmen zu geben, der dem Leser einen vollständigen Überblick über Poes Quellen, den historischen, kulturellen und biographischen Hintergrund verschafft. Das Buch beginnt mit einer ausführlichen, spannenden Einleitung zur Entstehung des »Pym«, vor dem Hintergrund von Poes Lebenssituation, des damaligen Verlagswesens und der populären Reiseliteratur, die eine wichtige Inspirationsquelle für den Autor darstellte. Vor allem die obskuren Hohlwelt-Theorien über einen möglichen Zugang zum Erdinneren am Nord- oder Südpol scheinen Poe fasziniert zu haben und bieten einen interessanten Ansatz zum Weiterdenken für das offene, rätselhaft bleibende Ende des Romans.

Das eigentliche Rätsel des »Pym« können und wollen die Herausgeber nicht beantworten: Handelt es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch Poes, einen Roman nach dem Vorbild der erfolgreichen Reiseberichte seiner Zeit zu schreiben, oder um eine gelungene Satire auf eben diese Reiseberichte, die den Lesern allen möglichen Unsinn als Tatsachen auftischt? Folgt man den Kommentaren von Schmid und Farin, wird zumindest klar, wieviel Poe aus anderen Texten übernommen und welch absurde Schlampereien, Ungenauigkeiten und logischen Fehler sich in den Roman eingeschlichen haben. Je mehr man sich mit den Details beschäftigt, desto fragwürdiger wird der Rang, den »Pym« im Gesamtwerk Poes und in der Literaturgeschichte einnimmt. Ist es das ausgefeilte Werk eines Genies oder hastig heruntergeschriebener Schund? Um so bemerkenswerter ist der Einfluß, den Poes Roman auf andere Autoren – Baudelaire, Cendrars, Nabokov, Verne, Lovecraft – ausübte und die unglaubliche Vielzahl unterschiedlichster Interpretationen, die ihn zu deuten suchten.

Wenn man »Pym« als Satire lesen will, sollte man die Texte kennen, über die Poe sich vermutlich lustig gemacht hat. Dies wird durch den Kommentar der Herausgeber möglich. Man kann aber auch auf die Kommentare verzichten und den Roman als phantastisches Abenteuer mit allerhand blutrünstigen und spektakulären Episoden genießen. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der als blinder Passagier an Bord eines Walfängers gelangt, Meuterei und Schiffbruch, Hunger und Durst erleben muß, bevor er mit einem Kameraden von einem anderen Schiff gerettet wird. Die Reise führt weiter in die Südsee, zu einer fatalen Begegnung mit Eingeborenen und in eine immer unheimlicher scheinende Inselwelt, deren Felsschluchten an riesige Buchstaben einer antiken Sprache erinnern. Die Flucht vor den Eingeborenen führt Pym schließlich in ein milchiges Meer, über dem riesenhafte weiße Vögel kreisen und zu einer monströsen menschlichen Gestalt, die sich dem Abenteurer in den Weg stellt – eine grandiose Szene, mit der die Erzählung unvermittelt abbricht.

Das rätselhafte Ende und die befremdliche Szenerie der letzten Kapitel sind wohl der eigentliche Grund, warum der Roman bis heute lesenswert geblieben ist. Die phantastischen Einfälle wirken realistischer und sind bei weitem eindrucksvoller als die vermeintlich realistischen Episoden über Meuterei und Schiffbruch und die freien Nacherzählungen echter Reiseberichte. Am offenen Ende des Romans zeigt sich auch am deutlichsten die traumähnliche, surrealistische Poesie des Autors, die noch auf die französische Literatur der Jahrhundertwende und des 20. Jahrhunderts großen Einfluß ausübte und die das Interesse an Poe über zweihundert Jahre wachgehalten hat.

Das Buch schließt mit einer umfangreichen Chronologie zur Entstehung, Rezeption, Übersetzung und Wirkung des Romans und der Vorstellung dreier Fortsetzungen anderer Autoren – Verne, Dake, Lovecraft. Ergänzt wird der Text durch eine Bibliographie und Illustrationen, die verschiedenen alten Buchausgaben entnommen sind.

Insgesamt bietet diese Neuausgabe von »Arthur Gordon Pym« spannende und aufschlussreiche Lektüre, eine unglaubliche Vielzahl an Fakten und Informationen zu Poes Quellen, Leben, Werk und Wirkung. Jeder, der sich ernsthaft für amerikanische Literatur, für phantastische Literatur und für Edgar Allan Poe interessiert, wird von diesem bibliophil gestalteten Buch begeistert sein.