Eoin Colfer – Artemis Fowl (1&2)

Artemis Fowl
Artemis Fowl – Die Verschwörung

Artemis Fowl
List Verlag
Originaltitel: »Artemis Fowl«
aus dem Englischen von Claudia Feldmann
Titelbild von ?
ISBN 3-47177251-0
August 2001, 18,- €, 239 Seiten

Eoin Colfer
Artemis Fowl – Die Verschwörung
List Verlag
Originaltitel: »Artemis Fowl – The Arctic Incident«
aus dem Englischen von Claudia Feldmann
Titelbild von ?
ISBN 3-47177255-3
Mai 2002, 18,- €, 304 Seiten

Es ist noch keine Woche her, da verlor Deutschland das Endspiel gegen Brasilien mit 0:2. Einen Tag später wurde die Rückkehr der deutschen Nationalmannschaft in Frankfurt von Tausenden von Fans begeistert gefeiert, als wären sie Weltmeister geworden. Durch viele Städte zogen Jugendliche mit Deutschlandfahnen, begeisterte Gesichter, vielleicht die eine oder andere Träne aus dem Augenwinkel gewischt, aber glücklich, daß die Truppe, der kaum jemand etwas zugetraut hatte, den deutschen Fußball so gut repräsentiert hat. Die meisten dieser Jungen können sich nicht an die wunderbare Nacht in Rom erinnern, als Deutschland 1990 das dritte und bislang letzte Mal Weltmeister geworden ist.

Was das alles mit der Kritik eines Jugendbuches zu tun hat? Sehr viel mehr als die meisten Menschen denken. Denn vor knapp zwei Jahren wurde der deutsche Fußball tot geschrieben, es gibt keinen Nachwuchs hieß es, die ausländischen Durchschnittsspieler nehmen den wenigen fußballbegeisterten deutschen Spielern die Plätze weg, die Zukunft wird mehr als düster sein. Und dann kommen so freche Spieler wie Metzelder, Kehl, Sebastian Deißler oder Daniel Bierofka und zeigen der Welt, daß es doch einen deutschen Nachwuchs gibt.

Genauso regten sich vor wenigen Jahren Lehrer und Eltern auf, daß ihre Kinder nur noch ihre Freizeit vor dem Fernseher oder am Computer verbringen und nicht mehr in der Lage sind, ein gutes Buch zu lesen. Die Schlangen vor der Veröffentlichung des vierten Harry Potter-Romans haben hoffentlich mit dem Klischee aufgeräumt, daß Kinder generell nicht mehr lesen möchten. Natürlich ist auch hier der Einfluß der Eltern sehr entscheidend, denn wenn man als Kind immer hört »Ich habe nicht mehr die Zeit ein gutes Buch zu lesen« und dann mit der Fernbedienung durch die Programme zappt, dann fehlt schon mal der Antrieb, sich mit einem Buch in die Ecke zu setzen und der Phantasie freien Lauf zu lassen. Aber die Phantasie war immer schon der entscheidende Unterschied. Wer erinnert sich nicht an die »Unendliche Geschichte« oder »Momo«, selbst die erste Buchveröffentlichung von Wolfgang Hohlbein »Märchenmond« hat sich sehr gut verkauft. Aber nicht nur die Kasse klingelte, sondern die Jugendliche wollten diese Bücher lesen, weil sie spannend, interessant, lustig, voller Ideen oder einfach nur schön waren. »Harry Potter« gehört auch zur diesen Büchern, aber auch die »Artemis Fowl«- Romane des britischen Sonderschullehrers Eoin Colfer, der vor Frau Rowling schon Kinderbücher geschrieben hat und auf gar keinen Fall mit ihr verwechselt werden sollte. Seine Romane sind für Kinder ab 12 Jahren und es geht schon manchmal sehr blutig in ihnen zu. Neben den beiden in Deutsch erschienen Romanen hat er inzwischen einen Vertrag für zwei weitere Bücher unterschrieben und im nächsten Jahr soll das erste Buch ins Kino kommen.

Nicht schlecht für einen sechsunddreißigjährigen Sonderschullehrer, der für seine ersten sechs Kinderbücher je Euro 3000,- bekommen hat. »Artemis Fowl« erscheint inzwischen in 26 Ländern in Millionenauflage. Eoin Colfer sich für die nächsten Jahre beurlauben lassen, um weitere Abenteuer des jungen Gangsterbosses zu schreiben. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Wexford und unterrichtet einmal in der Woche noch in der Schule, um den Kontakt mit seinen Schülern nicht zu verlieren, aber sich auch Inspiration und Ideen von ihnen zu holen. Bisher hat er neben seiner irischen Heimat auch in Tunesien, Saudi Arabien und Italien unterrichtet. Im Bertelsmann Verlag erschien vor wenigen Jahren sein Erstling »Benny & Omar«, die Geschichte eines zwölfjährigen Jungen, der mit seiner Familie nach Tunesien umziehen muß, weil sein Vater dort Arbeit gefunden hat. Im Gegensatz zu »Artemis Fowl«, der den Leser nur unterhalten soll, setzt sich Colfer hier mit den Konflikten zwischen zwei Kulturen auseinander und durch seine Zeit, die er insbesondere in Tunesien, aber auch dem reichen Saudi Arabien verbracht hat, schafft er es, beide Seiten zu Worte kommen zu lassen.

Aber genau wie Benny ist Artemis Fowl eine schwierige Type. Er ist ein liebenswürdiges Ekel, in sich selbst verliebt, hochintelligent, skrupellos, der Sproß einer berühmten Gangsterfamilie, der er wieder zu Ansehen, aber auch zu noch mehr zu Reichtum verhelfen möchte. Sein Vater wollte ehrliche Geschäfte machen und verkaufte eine große Menge Coca Cola nach Murmansk. Das Schiff wird aber von der russischen Mafia versenkt und sein Vater verschwindet im unergründlichen Rußland. Viele halten ihn für Tod, so auch Fowls Mutter, die depressiv geworden ist. Artemis Fowl ( der Vorname ist von der griechischen Göttin der Jagd abgeleitet, der Nachname besagt, daß er der Nachkomme des Geschlechts der Vogelsteller und Federviehjäger ist, daher vielleicht auch seine Vorliebe für Feen) möchte mit Hilfe des Goldes der Feen den Reichtum seiner Familie wiederherstellen, um dann in Rußland nach seinem Vater zu suchen. Die Feen leben unter der Erde und schotten sich von den Menschen ab. Es gibt nur wenige Zugänge zu ihrem Reich und die Feenpolizei paßt schon auf, daß sich die beiden Völker nicht zu nahe kommen. In der Vergangenheit hat das immer Ärger bedeutet. Aber nicht nur die Feen leben dort, sondern auch Trolle, Gnome und Kobolde. Um überhaupt eine Chance zu haben, an das Gold zu kommen, muß er eine Fee fangen und ausgerechnet die leicht schusselige Polizeibeamtin Holly Short gerät in seine Falle. Der Hightechfreak mit seinem Butler hat sich alles genau ausgerechnet, denn er weiß, daß Feen ihre Versprechungen halten müssen und so preßt er dem jungen Mädchen ein Versprechen ab. Aber auch die Feen haben einige Tricks auf Lager und so schießt das Buch im Eilzugtempo am Leser vorbei. Die Gaunereien werden immer dreister, die Waffen immer größer und das alles vor den Augen von Artemis Mutter, die eigentlich der Meinung ist, ihr Sohn sei ganz normal und leide nur unter dem Tod seines Vaters. Natürlich muß der amoralische Fowl auch lernen, daß man mit Gold nicht alles kaufen kann und einen Teil des ergaunerten Reichtums muß er wieder hergeben, um sich zumindest einen kleinen Teil Familie wieder zu erkaufen. Genau wie Pinocchio, der am Ende immer ein richtiger Junge sein wollte, möchte Fowl in erster Linie seine Familie und seinen Vater um sich haben. Wahrscheinlich würde er seine Gangsterstreifzüge auch in dem Moment einstellen, in dem seine Umgebung wieder komplett ist, denn in erster Linie hat er alles, was sich ein Junge materiell wünschen kann – ihm fehlt nur die elterliche Liebe. Im zweiten Band macht er sich auf die Suche nach seinem Vater in Rußland und hier sind die ehemaligen Kontrahenten zu Freunden, Verbündeten oder einfach nur Partnern geworden. Die Konflikte des ersten Buches werden jetzt auf andere Parteien verlegt

»Artemis Fowl« lebt nur nicht nur von seinen vielen Ideen. Die Bücher sind modern, witzig, kurzweilig, unterhaltsam und das nicht nur für Kinder. Wunderschön karikiert Colfer in seinem zweiten Buch Hollywood, das unter der Diebesserie eines Zwerges leidet, dessen Ziel es ist, einen Oscar in jeder Kategorie zu stehlen und bei sich auszustellen. Und es gibt viele Kategorien und damit auch viel Arbeit. Oder im ersten Band die vielen spitzen Bemerkungen, die Fowl immer wieder von sich gibt, und die viele seiner Mitschüler (und im zweiten Buch auch Lehrer und Psychologen) nicht verstehen. Holly Short als liebenswerte, aber tölpelhafte Feenpolizisten wirkt stellenweise in der ganzen Handlung deplaziert, zu sehr möchte sich der Leser auf die sehr gut geplanten Aktionen des Artemis Fowl konzentrieren, aber sie stellt natürlich das schlechte Gewissen der Gesellschaft dar. Auch wenn sie manchmal lieber auf der Seite der bösen Jungs steht (für welches Kind es ist nicht verlockend, der Bösewicht zu sein, der alles darf und für den es keine Regeln der Eltern gibt, als immer der farblose Gute, der am Ende zwar das Happy End, aber ansonsten nicht viel hat?). Aber auch die modernste Technik wie Videokameras, Ortungsgeräte, Pistolen, »Zeitmaschinen«, U-Boote und Alarmanlagen unterstreichen wie sich die Welt von den mystischen Figuren unserer Märchen und Sagen entfernt hat. Harry Potter muß in eine andere Welt eintreten, um dort unterrichtet zu werden, bei Colfer stoßen diese Welten direkt aufeinander und treiben auch eifrig Handel miteinander. Diese Verschmelzung zweier (oder dreier oder vierer) Welten macht die beiden Romane so brandaktuell. Colfers Rußland ist schmutzig, von der Mafia beherrscht und in Murmansk herrscht durch die atomare Strahlung der verlassenen Nordmeerflotte Lebensgefahr und durch diese modernen Bedrohungen kämpft sich ein zwölfjähriger Junge unserer Generation (er liebt Videospiele und andere Spielzeuge und aus diesem scheinbaren Widerspruch heraus, führt er seine jungen Begleiter wieder zurück in die grenzenlose Welt der Bücher) auf der Suche nach seiner Familie. Das er zu den Bösen gehört, die eigentlich nach den Harry Potter Regeln bestraft werden müßten, steht in einem anderen Zauberbuch. Seine dunkle Seite hebt den prächtig entwickelten Charakter von der farblosen Umgebung ab. Der Leser zittert und fiebert mit ihm, weiß aber auch, daß diese Wege nicht die richtigen sind. Aber für knappe dreihundert Seiten möchte man auf die Seite des Bösen wechseln (das Wort müßte in Anführungsstriche geschrieben werden) und wieder jung sein, denn die langfristigen Ziele Artemis Fowls sind die Wünsche und Träume, die jedes Kind hat: eine glückliche Kindheit und eine intakte Familie. Und um dieses Ziel zu erreichen, ist der Weg, den jedes Kind gehen muß, nicht so wichtig, viel entscheidender ist es, daß die Eltern bereit sind, auch diesen Weg mitzugehen.

»Artemis Fowl« ist kein Harry Potter, aber es ist originell, spannend, lustig, dramatisch, intelligent und einfach nur schön. Bücher zum Verschenken, aber auch selbst lesen, Bücher, die Spaß machen, einfach nur Klasse Lesestoff. Und Qualität setzt sich immer durch, selbst in unserer Medienwelt oder gerade in unserer Medienwelt?

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