Kurt Mahr – Der lange Weg zur Erde

Der lange Weg zur Erde

Blitz Verlag, Utopische Klassiker 3
Redaktionell überarbeitete Neuausgabe
Titelbild von Steven Vincent Johnson
Windeck 1998, 14.90 Euro, 352 Seiten

Kurt Mahr galt als der Wissenschaftler unter den Perry-Rhodan-Autoren. Mit Heft 5 feierte er ein frühes Debüt und blieb über viele Jahre nicht nur Autor der Serie, sondern übernahm später mit Ernst Vlcek auch die Exposéredaktion. Mahr hatte sich über viele Jahre schon einen guten Namen erschrieben. Er stand für handwerklich solide, korrekte Arbeit. Im Vergleich zu Clark Darlton ging ihm die Leichtigkeit des Seins ab, seine Protagonisten handelten meistens sehr logisch und gingen die Probleme technokratisch an. Obwohl seine Plots nicht weniger phantastisch waren, bemühte er sich immer, ihnen zumindest einen wissenschaftlich angehauchten Background zu geben. Aber manchmal hätte er auch auf die Menschen verzichten können, Roboter wären als Figuren nicht schlechter.

William Voltz stand schon zu dieser Zeit für seine sehr humanistischen Romane. Gewalt war für ihn immer der letzte Ausweg und der technologische Fortschritt ein Prozeß, den seine Figuren mit einem gesunden Maß an Skepsis und Sorge zur Kenntnis nahmen. Im Kampf mit den Elementen und Unwägbarkeiten im All vertrauten sie mehr ihren inneren Instinkten.

Außerhalb der Perry Rhodan Serie schrieb Kurt Mahr nur zwei Heftromanzyklen »Der Krieg zwischen den Milchstraßen« (1962) und den Fünfteiler »Der lange Weg zur Erde« (1964), beide bei Terra erschienen. Gert Rottenecker hat dieser Serie komplett für die Veröffentlichung bearbeitet. Kurt Mahr verstarb 1993, so daß er diese Arbeit leider selbst nicht mehr übernehmen konnte.

Klaus Mahn wurde 1936 in Darmstadt bei Frankfurt geboren, studierte zuerst Bauingenieur und wechselte dann zur Physik. Mit diesem Diplom in der Tasche wechselte er in die Staaten und arbeitete dort bei einer Firma, die u.a. für die Entwicklung der Pershing Rakete zuständig war. Erst 1972 kehrte er für wenige Jahre nach Deutschland zurück und arbeitete in der Softwarebranche.

Schriftstellerisch begann er 1959 mit dem Schreiben von Liebesromanen, bevor er sich schon 1960 der Science Fiction zuwandte. Einige seiner besseren Romane erschienen u.a. als UTOPIA CLASSICS in den achtziger Jahren als Taschenbücher. 1978 kehrte er in die Staaten zurück. Jahre später heiratete er die Witwe von William Voltz. Es war seine zweite Ehe. In den Staaten schrieb er neben den Romanen für Perry Rhodan auch sehr viele Planetenromane und war Teamautor bei der Schwesterserie ATLAN. Anfangs führte er auch die Sparte ‚Perry Rhodan Computer‘ ein und schrieb sie jahrelang im Alleingang.

»Der lange Weg zur Erde« spielt in einer fernen Zukunft. Die Menschheit hat sich den Weg ins All erforscht, viele Planeten sind besiedelt, man stieß aber nur auf wenigen Planeten auf Leben und nur auf einem auf intelligentes Wesen. Mit den roten Zwergen versteht sich der Mensch leidlich gut. Diese scheinen nicht besonders böse zu sein, daß sie auf ihrem eigenen Planeten immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden. Plötzlich taucht eine undurchdringliche Dunkelwolke auf und hüllt die einzelnen Systeme ein. Anfangs versuchen die Menschen noch, mit diesem Phänomen klarzukommen und untersuchen die künstlich erzeugte Wand. Dabei stoßen sie unter anderem auf ein fremdartiges Raumschiff. Nach und nach schwindet der Kontakt zwischen den einzelnen Systemen und nur wenige dicht beieinanderliegende schaffen es in Kontakt zu bleiben. Der menschliche Fortschritt kommt zum Erliegen, die Zivilisationen zerfallen. Erst im Laufe der Zeit erkennen die Menschen, wer ihnen das Geschenk in die Wiege gelegt hat. Zu diesem Zeitpunkt ist es aber zur spät, denn der Feind scheint übermächtig und die Schwingen der Zeit drohen die Menschheit in das Vergessen zu tragen. Besonders der erste Roman des Zyklus mit dem geheimnisvollen Auftauchen des Phänomens zeigt Mahrs Stärken. Wissenschaftlich nüchtern, ohne viel Pathos beschreibt er die Gefahr und die Verwirrung der einzelnen Soldaten und Wissenschaftlern. Mag man ihm in seinen späteren Werken eine gewisse Kälte vorwerfen, so greifen hier Stärken und Schwächen sehr gut ineinander und erzeugen eine beklemmende Atmosphäre.

Nach einigen Jahrtausenden zerfällt die Wolke aus natürlichen Gründen. Der größte Teil der Menschheit hat den Raumflug per se vergessen. Die wenigen vorhandenen Raumschiffe werden nachgebaut und nachgebaut, ohne überhaupt die Technik zu verstehen. Nur noch wenige der Raumschiffe können wirklich den Handel zwischen den einzelnen Planeten aufrechterhalten. Hier liegt auch die größte Schwäche des Buches, denn Menschen werden immer neugierig sein und sich nicht sozialistisch treu mit dem Baukastenmodell begnügen. Selbst in der Zeit der größten Not wurden in vielen Ländern der Erde aus vorgegebenen Modellen sehr gute Eigenkonstruktionen und Weiterentwicklungen gebaut. Und das die Technik so weit in den Hintergrund gedrängt wird, um für Jahrtausende von der Bildfläche zu verschwinden, überzeugt auch Mahr im tiefsten Herzen nicht. Eine Rebellengruppe, die für Demokratie auf ihrem Planeten kämpfen, muß vor den Schergen des Diktators auf einen anderen Planeten fliehen (nebenbei werden sie auf von Piraten „überfallen“, ein weiteres Klischee aus der Mottenkiste). Durch Zufall finden sie ein altes leistungsfähiges Raumschiff und machen sich nicht nur auf die Suche nach der geheimnisvollen Erde, sondern wollen auch das Volk begutachten, dem die Menschen diesen Winterschlaf zu verdanken haben. Denn bei dieser mächtigen alten Rasse haben sich nicht nur Menschenhasser gesammelt, sondern Teile des Volkes wollen nicht länger zusehen, wie man die agile menschliche Rasse im Zaum zu halten sucht, weil man selbst zu degeneriert und alt ist, um mit dem Menschen Schritt zu halten.

Wie in vielen Büchern Mahrs spricht auf den meisten Seiten der Physiker, der mit Leib und Seele naturwissenschaftliche Phänomene untersucht und mit seinen Figuren nur sehr wenig anfangen kann. Nach dem spannenden, rasanten Auftakt verliert er ein wenig den Faden und der Bruch von mehreren tausend Jahren gibt ihm auf der einen Seite die Möglichkeit, eine neue Menschheit zu schildern, die sich jedoch kaum von den ersten Siedlern unterscheidet. Spannender wäre es gewesen, gleich die Expedition in die Dunkelwolke und schließlich zu den alten, überlegenen Rasse zu starten. Besonders im zweiten und dritten Roman sammeln sich die zwölf Helden (ohne das alle einen Namen bekommen), um dann endlich aufzubrechen. Natürlich schreibt Mahr die verschiedenen Aktionsszenen sehr routiniert und sorgfältig, aber nach dem originellen Auftakt wirken sie richtig verloren. Dazu stehen sie im Kontrast zu Mahrs eigentlicher Stärke: Mit einem unglaublichen Selbstbewußtsein schildert er naturwissenschaftliche Phänomene, als wäre er selbst dabeigewesen und läßt seine Figuren durch das All der Möglichkeiten gleiten. Hier entsteht dieser »sense of wonder«, den der Leser heute nur noch in wenigen Romanen findet. Nach dem Motto »big is beautiful« und »More is not enough« fliegen die Jahrhunderte dahin und die Reise ins das All (zur Dunkelwolke und später zur Erde, bzw. in Richtung Erde) werden farbenfroh und einfach nur groß beschrieben.

Allerdings schafft Mahr es gut den Bogen von den Lückenfüllern zurück in die Handlung zu finden und besonders die abschließende Bände sind sehr spannend und lesenswert. Er greift nicht in die Klischeekiste der bösen Außerirdischen, sondern beschreibt zurückhaltend die verschiedenen Interessengruppen. Natürlich entschärfte er den Konflikt zwischen den Menschen und den Außerirdischen. Heute noch würde manche Diskussion zwischen den Weißen und Indianern wegen des Kampf um den Lebensraums im Westen ganz anders geführt werden, wenn die Indianer den Weißen eine undurchdringliche Mauer für die Eisenbahn gelegt und ganz genüßlich die Anstrengungen der unzivilisierten Menschen beobachtet hätten. Hier zeigt sich Mahr als Mensch und seine Sympathien liegen bei den neugierigen Himmelsstürmern vom Planeten Erde. Anders wäre es vielleicht die mit Abstand ungewöhnlichste Science Fiction-Serie der sechziger Jahre geworden.

In der Heftromanwelt der sechziger und siebziger Jahre hatte man nur eine Chance: den Leser für sechzig Seiten zu fesseln und das ging selten mit einfachen kleinen Geschichten. Und das macht auch heute noch den Reiz dieser Geschichten aus. Sie wirken in der Beschreibung ihrer Charaktere antiquiert (einzige Ausnahme hier Voltz, dessen Figuren auch heute noch so handeln würden, wie vor dreißig Jahren), aber sie erzählen in ihrem Kern immer noch von den Träumen ihrer Autoren. Auch wenn die Atomkraft gefährlich für den Menschen ist oder er selbst noch nicht innerlich reif für einen dauerhaften Frieden oder eine einige Welt ist, in der Eroberung des Alls standen sie alle zusammen und litten und kämpften und forschten für diesen gemeinsamen Traum. Und wenn viele Science Fiction-Autoren auch die Gefahren des Alls in ihren Büchern beschrieben, der menschliche Wille war immer stärker und konnte schließlich diese Hürde überspringen, um auch an ihr zu reifen.

Vielleicht ist es auch ganz gut, wenn die Zyniker der Jetztzeit sich mit den Träumern der Vergangenheit auf dem literarischen Schlachtfeld die Ehre geben. Es gibt Moment, in denen ist es schön, beiden Richtungen zu begegnen und dem Blitz-Verlag gebührt die Ehre, uns die Tore dieser Vergangenheit wieder zu öffnen, die Spinnweben von den Heften zu entfernen und den Leser mitzunehmen in eine Zeit, in der viele Sachen einfacher waren.

Thomas Harbach, August 2002