Filmkritik: »Boy 7« (2015)

Kinoplakat Boy 7Deutsch(sprachig)e Science-Fiction-Filme sind (von internationalen, englischsprachigen Koproduktionen wie z. B. die RESIDENT EVIL-Reihe (2002-2014) oder PANDORUM (2009) abgesehen) rar und Produktionen, die es tatsächlich ins Kino schaffen, wie HELL (2011) von Tim Fehlbaum, sind echte Mangelware. Mit BOY 7 hat sich nun ein deutsches Team dem Bestseller der niederländischen Autorin Mirjam Mous angenommen.

Während die Romanvorlage in Amerika spielt, wurde diese für die Verfilmung in ein nicht näher definiertes Deutschland der Gegenwart verlegt. Sam/Boy 7 (David Kross) erwacht ohne Erinnerung in einem U-Bahn-Tunnel, verfolgt von unbekannten Männern. Der einzige Hinweis den er bei sich trägt, ist die Visitenkarte eines Restaurants, wo er ein von ihm verstecktes Notizbuch vorfindet. Auf seiner weiteren Flucht trifft er auf Lara/Girl 8 (Emilia Schüle), die ebenso ohne Gedächtnis zu sein scheint, und gemeinsam beginnen sie Licht ins Dunkel ihrer Erinnerungen zu bringen. Beide entdecken, dass sie straffällig waren und deshalb zur Besserung in das Resozialisierungszentrum Kooperation X gebracht wurden. Mit jeder weiteren Tagebuchseite erfahren Sam und Lara, wie sie in diese missliche Lage geraten sind und dass die Kooperation X viel mehr ist als eine herkömmliche Erziehungsanstalt.


Nachdem in den letzten Jahren eine schier unüberschaubare Flut von dystopischen Jugendbüchern mit den dazugehörigen Verfilmungen – mal weniger, doch meist mehr erfolgreich – den Markt überschwemmt haben, wurde Regisseur Özgür Yildirim mit der filmischen Umsetzung beauftragt. Was ihm mit CHIKO (2008) und BLUTZBRÜDAZ (2011) erfolgreich gelungen ist, zwei interessante Genrefilme zu inszenieren, funktioniert bei BOY 7 leider nur eingeschränkt.
Der Film arbeitet primär mit zwei Handlungssträngen und springt zwischen diesen hin- und her. Zum einen gibt es die Ebene, auf der Sam und Lara der Flucht sind und versuchen mit Hilfe des Notizbuches Antworten zu finden, zum anderen sind es die, im Buch niedergeschriebenen Rückblicke, die im Institut der Kooperation X spielen. Über weite Strecken wirkt der Film nicht wie eine Mischung aus Science-Fiction, Thriller und Teenie-Lovestory, sondern vielmehr wie drei eigenständige Filme für unterschiedliche Zielgruppen, die man an Ende in einer Hauruck-Aktion zusammengefügt hat.

Özgür Yildirim versucht mit schiefer Kamera, Ego-Shooter Perspektive und Techno-Beats Dynamik in das Geschehen zu bringen was ihm gelingt und der jugendlichen Zielgruppe gefallen dürfte und Anfang und Ende gehören zu den gelungensten und spannendsten Teilen des Films. Hier schafft Yildirim eine dunkle, kühle Atmosphäre, die den Zuschauer an der Leine hält und Spannung aufbaut, die im weiteren Verlauf – das Finale ausgenommen – deutlich abfällt.

Der Mittelteil im Institut hingegen ist über weite Strecken öde und erinnert mehr an eine Landschulwoche mit einem strengen Lehrer, als an ein dystopisches Erziehungslager. Bei manchen Szenen kann man als (erwachsener) Zuseher nur den Kopf schütteln. Die Verführung von Sam durch eine hinterlistige Schulkameradin – inklusive Fingerlutschszene – lässt einen im Kinosessel tiefer rutschen und Sams Computerduell gegen Safira während einer Trainingseinheit, inklusive dilettantischster Tippversuche auf Tastatur und Technogebrabell passen dann mehr ins ZDF-Nachmittagsprogramm. Die Logiklöcher und die zum Teil arg konstruierte Handlung tun ihr Übriges.

Die Figuren sind oft eindimensional und ziemlich vorhersehbar geraten. Sam (David Kross) als liebenswürdiger naiver Nerd und Antiheld, Lara (Emila Schüle) die gepiercte Rebellin, die ständig schlecht gelaunt ist oder Bösewicht Isaak (Jens Harzer), der selbstverständlich immer dunkel gekleidet ist. Die straffälligen Jugendlichen wiederum, wirken so sympathisch, dass man sofort bereit wäre, mit ihnen eine WG zu gründen. Die Schauspieler bemühen sich, allen voran David Kross und Jens Harzer oder die großartige – leider nur in einer Nebenrolle zu sehen – Liv Lisa Fries als Safira, doch nützt das nichts, wenn das filmische Gerüst auf wackeligen Beinen steht, vielmehr macht das Talent dieser Schauspieler die Schwächen des Films umso deutlicher. Dass Jens Harzer ein fabelhafter Theaterdarsteller ist sieht man, sein diabolischer Isaak könnte genauso auf einer Bühne stehen, nur wirkt das Overacting im eher seichten Gefilde von BOY 7 übertrieben und aufgesetzt.

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Wie im dystopischen Young-Adult Genre üblich, kommt der Film nicht ohne eine Portion Gesellschaftskritik aus. Der Geschäftsführer von Kooperation X agiert als etwas naiver und neoliberaler Idealist, der seine Insassen gerne als Talente bezeichnet, die nach der Resozialisierung mit ihren besonderen Fähigkeiten an Unternehmen vermittelt werden sollen. Faschistoide Strukturen, autoritäre Erziehungsmethoden kommen genauso vor, wie manipulierte Persönlichkeitsprofile und Anspruch auf die Weltherrschaft. Damit unterscheidet sich BOY 7 nicht von anderen Verfilmungen, wie die Vorlage von Mirjam Mous eben auch nichts anderes als eine weitere (durchschnittliche) Neuanordung von dystopischen Versatzstücken aus dem Young-Adult Universum ist.

Im Gegensatz zu Konkurrenten wie MAZE RUNNER oder HUNGER GAMES, die sowohl Teenager als auch Erwachsene ansprechen, beschränkt sich BOY 7 tatsächlich auf ein ausschließliches jugendliches Publikum, dem sich mit den beiden Hauptdarstellern die passenden Identifikationsfiguren bieten und der Film wohl gefallen wird. Es ist löblich, dass BOY 7 versucht einen eigenen Weg zu gehen und der Versuchung eine amerikanische Kopie zu sein widersteht, doch kommt der Film nicht über das Mittelmaß hinaus.

Skurriles Detail am Rande. BOY 7 wurde nahezu zeitgleich zweimal verfilmt. Schon im Februar 2015 kam die niederländische Produktion unter der Regie von Lourens Blok in die dortigen Kinos. Der Film ist bereits als DVD/BluRay oder Download erhältlich. Hier ist ein Trailer zur niederländischen Verfilmung zu finden: https://www.youtube-nocookie.com/watch?v=H_rXjfZWlow

BOY 7
Link Facebookseite: https://www.facebook.com/boy7.DerFilm
Start DE: 20. August 2015
Start AT: 21. August 2015
FSK DE+AT: ab 12 Jahren
Verleih DE: Koch Media/24 Bilder
Verleih AT: Lunafilm
Länge: 104 Minuten
Fotos Film: Luna Filmverleih

Ein Kommentar

  1. Danke für die ausführliche Beschreibung.
    Vielleicht sollte man sich mal die deutsche und die holländische Produktion nacheinander ansehen.
    Ich befürchte die holländische Version ist besser und zugänglicher ohne langen Mittelteil.

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