Filmkritik: Daredevil (2003)

Als Frank Miller 1979 zuerst als Zeichner und später auch als Autor die Comicserie »Daredevil« übernahm, schrieb er damit Comicgeschichte. Der junge Zeichner machte aus der Serie um den blinden Anwalt Matt Murdock, der gleichzeitig auch als Superheld Daredevil gegen das Verbrechen in New York kämpft, innerhalb kürzester Zeit einen Verkaufshit. Diese Comics erschienen vor einem Jahr gesammelt bei Marvel Deutschland in der Reihe »Visionen von Frank Miller«, für die ich die Ehre hatte, eine neue Übersetzung anzufertigen. Die wichtigste Erfindung Frank Millers war damals die Kopfgeldjägerin Elektra, die einst Matts erste Liebe war, und später bei den Ninjas eine Ausbildung zur Meisterkämpferin erhielt. Seine Daredevil-Ausgaben, in denen neben dem Verbrecherkönig Kingpin und dem wahnsinnigen Killer Bullseye, auch der Reporter Ben Urich eine wichtige Rolle spielte, gehören noch heute zu den Meisterwerken des amerikanischen Comics.

Es verwundert also kaum, dass sich die Drehbuchautoren des Kinofilms »Daredevil« schon frühzeitig für Frank Millers Story als Grundlage für ihre Filmhandlung entschieden. Das problematische dabei ist jedoch, und das will ich für diese Kritik vorwegnehmen, dass sie nicht begriffen, was den Charme und den Reiz dieser Geschichte ausmachte. Es gelang ihnen nicht die Tiefen der Figuren auszuloten und reduzierten sie statt dessen – so seltsam dies klingend mag – auf ein simples Comicniveau. Doch ein »simples Comic« war Daredevil zu dieser Zeit eben nicht. Bei Frank Miller balancierte Matt Murdoch als Daredevil immer wieder am Rande des Wahnsinns, er intrigierte und arbeitete nicht mehr streng im Namen der Gerechtigkeit. Er kämpfte gegen und kooperierte mit dem Kingpin, er verfolgte Bullseye, rettete ihn, lernte ihn zu hassen und war doch letztlich unfähig ihn zu töten. Im Kinofilm ist leider davon nicht mehr viel zu spüren.

Dabei fängt der Film nach einer kurzen Einleitung sehr vielversprechend an – wir erleben mit, wie aus dem schüchternen Jungen Matt Murdock, dessen Vater einst ein gefeierter Boxer war, langsam Daredevil, der Mann ohne Furcht wird. Wirklich großartig ist hier z.B. gelungen, zu zeigen, wie sich für Matt durch den Unfall alles verändert. Obwohl er blind wurde, lassen ihn seine anderen, um ein vielfaches verstärkten Sinne die Welt völlig neu wahrnehmen. Er nimmt selbst die leisesten Geräusche war, sein Geruchssinn ist besser als bei jedem anderen Menschen und eine Art Radarsinn (im Film hervorragend umgesetzt!) läßt ihn mehr wahrnehmen, als zuvor mit seinen Augen… Wie Daredevil die Welt sieht, wird dabei sehr schön in seinem Kampf in Josies Bar deutlich.

Doch sobald die Geschichte um Bullseye, Elektra und den Kingpin anläuft, häufen sich die Logikfehler und die Dialoge und viele Szenen werden zunehmend »cooler«, und damit sinnloser und dümmer. So prügelt sich unser blinder Anwalt gleich zu Beginn natürlich völlig unauffällig auf einem Kinderspielplatz mit Elektra und zeigt allen, die zugucken wollen, daß er mehr ist, als nur ein Krüppel. Eine vielleicht coole Szene, die aber gleichzeitig so dumm ist, daß man sich fragen muß, ob der Regisseur begriffen hat, was einen kostümierten Superhelden ausmacht. Denn so oft, wie sich Daredevil in diesem Film die Maske abziehen läßt, muß man sich fragen, wie lange es wohl dauert, bis ganz New York weiß, wer da als roter Teufel durch die Stadt flitzt.

Manche Probleme des Films dürften aber wahrscheinlich erst durch den Filmschnitt entstanden sein. So ist in der vorliegenden Fassung die Rolle des Reporters Ben Urichs fast erschreckend belanglos und auch der Kingpin wird statt als Verbrecherboß, mehr beim Schmauchen irgendwelcher fetter Zigarren gezeigt. Laut den Berichten im Vorfeld, wollte man von Seiten der 20th Century Fox in den USA unbedingt die Altersfreigabe PG13 erreichen und um dies schließlich zu schaffen, mußte ein kompletter Handlungsstrang um einen Fall, den Murdock vor Gericht vertrat, herausgeschnitten werden. Diese Löcher machen sich aber schmerzlich bemerkbar, da hier wahrscheinlich die Figur des Anwalts Murdock ausführlicher charakterisiert worden wäre.

In der vorliegenden Form reduziert sich der Film schließlich ab der Mitte auf die Kampfszenen zwischen Elektra, Murdock und Bullseye. Und die sind leider nur mäßig spannend, denn sie orientieren sich halt nun mal deutlich sichtbar an den vielen anderen, gleichartigen Kampfszenen, die in Hollywoodproduktionen nach »The Matrix« gedreht wurden. Also viele Tritte, unmögliche Schwünge und Salti und mehr… Letztlich rutscht hier der Film ins Mittelmaß ab und wird zum reinen Popcorn-Kino. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis nach einer Reihe hervorragend gelungener Superheldenverfilmungen (Blade 1 & 2, X-MenSpider-Man) die Glückssträhne für Marvel enden würde. Nun war »Daredevil« zwar in den USA an den Kinokassen nun wirklich kein Flop (eher im Gegenteil), doch den Geist des Comics konnte dieser Film nicht einfangen. Bleibt die Hoffnung, dass Ang Lee dem »Hulk« ein würdiges filmisches Denkmal setzen kann und Bryan Singer mit »X-Men 2« all die Versprechungen einlösen kann, die er mit dem Trailer abgibt.

© Florian Breitsameter (Text)