Filmkritik: »Der Marsianer – Rettet Mark Watney« (2015) (OT: »The Martian«)

Kinoposter The MartianNachdem sich »Mars-Filme«, mit Ausnahme von Paul Verhoevens TOTAL RECALL (1990), beständig als Kassengift und meist als künstlerischer Reinfall erwiesen haben, versucht sich Hollywood mit DER MARSIANER erneut an der Eroberung des roten Planteten. Neben den prominenten Vertretern wie MISSION TO MARS (2000) oder RED PLANET (2000), gab es noch zahlreichere kleinere Produktionen wie THE LAST DAYS ON MARS (2013) mit Liev Schreiber in der Hauptrolle oder NÁUFRAGOS – GESTRANDET (2001) aus Spanien. Alle hatten das Ziel ein realistisches Szenario oder zumindest den Anschein davon zu entwerfen, was diesen Filmen jedoch über weite Strecken nicht gelungen ist. Als bekannt wurde, dass Science-Fiction-Legende Ridley Scott die Verfilmung von Andy Weirs Sleeper Hit übernehmen soll, war die Hoffnung groß – nach endlosen Young-Adult-Verfilmungen – endlich wieder einmal einen gelungenen Hard-SF-Film im Kino zu sehen.

In DER MARSIANER trifft das Schicksal den Botaniker Mark Watney (Matt Damon), der nach einem Sturm – fälschlicherweise totgeglaubt – von seinem Kameraden auf dem Planeten zurückgelassen wird. Dieser hat indes überlebt und versucht nun mit allen erdenklichen Mitteln Kontakt zur Erde herzustellen, da die nächste Marsmission erst in vier Jahren stattfinden würde. Während auf der Erde alles Menschenmögliche versucht wird, um eine Lösung zu finden, muss sich Watney nicht nur mit spärlichen Vorräten und einem begrenztem Sauerstoffvorrat, sondern auch mit sozialer Isolation in einem feindlichen Lebensumfeld auseinandersetzen.

 

Bereits 1964 musste ein zurückgelassener Pilot in ROBINSON CRUSOE AUF DEM MARS um sein Überleben kämpfen und die Geschichte eines gestrandeten Astronauten ist im Jahr 2015 natürlich nicht neu. Ähnliche Plots sind in Film und Literatur zahlreich vertreten und Andy Weirs Debütroman schaffte es nur über Umwege zum Bestseller. Nachdem er bereits von drei Verlagen abgelehnt wurde, veröffentlichte er das Buch zunächst als Gratisdownload auf seiner eigenen Homepage und später als Kindle-Edition für 99 Cent. Erst nachdem davon 35.000 Stück verkauft wurden, kam es zu Vertragsabschlüssen mit Hörbuch- und Printverlagen.

Mit Ridley Scott, der vor 33 Jahren mit ALIEN (1979) den Realismus im Weltraum neu definierte, hat sich für die Buchadaption der passende Regisseur gefunden. Die 141 Minuten vergehen wie im Flug und schon das zeigt, dass vieles richtig gemacht wurde. Scott schafft die richtige Mischung aus verständlicher Wissenschaft, Spannung und der richtigen Dosis Action. Er springt gekonnt zwischen den Schauplätzen auf beiden Planeten und schafft ein fühlbares Spannungsfeld zwischen der Unwirtlichkeit der endlosen Marsoberfläche und der Enge des Habitats, das zugleich aber auch den einzigen Lebensraum bietet. Wenn z. B. nach einem Schleusenunfall das Habitat nur noch durch eine Plastikfolie von der der tödlichen Marsatmosphäre getrennt wird, spürt man förmlich den psychischen Druck der auf Mark Watney lastet.

Das Um und Auf eines Hard-SF-Films ist neben der Plausibilität der Geschichte auch die Authentizität der Charaktere und der Ausstattung. Scott gelingt es mit Hilfe seines Teams (Produktionsdesign: Arthur Max) diese Aufgabe bravourös zu meistern. Die Bauten, die Raumanzüge, die gesamte Technik wirken so, als ob sie tatsächlich existieren könnten. Hier wurde bis ins kleinste Detail nichts dem Zufall überlassen, was schon immer eine von Scotts großen Stärken war. Wenn man pingelig ist, könnte man die etwas zu hübschen Gesichter der Ares 3 Crew kritisieren, genauso wie die Kleidung der Erdbevölkerung zu sehr an das Jahr 2015, als an eine nahe Zukunft erinnert. Bei Jessica Chastain sitzen die Haare fast immer akkurat, sie trägt stets einen Hauch von zartrosa Lippenstift und Kollege Aksel Hennie hat auch nach Wochen der Raumfahrt stets einen perfekt rasierten Bartschnitt.

Großen Anteil am Erfolg des Films hat der Cast, allen voran Matt Damon, der physisch und mimisch den perfekten Mark Watney verkörpert. Seine Begeisterung über die erste selbstgezogene Pflanze ist genauso überzeugend wie die Frustration über ein Missgeschick oder die Verzweiflung nach einem Unfall im Habitat. Herausragend auch der oft unterschätzte Jeff Daniels, der den NASA Direktor Teddy Sanders mit einer Mischung aus kühler Berechnung und Verantwortungsgefühl spielt. Chiwetel Ejiofor und Benedict Wong zeigen uns glaubwürdige Naturwissenschaftler und auch die Nebenrollen mit Jessica Chastain (die zuvor mit Matt Damon bereits in INTERSTELLAR zu sehen war) oder Aksel Hennie sind passend besetzt. Einzig Donald Glovers Darstellung des Computerexperten ist eher nervig und Kristen Wiig, deren Figur als PR Sprecherin man ohne weiteres hätte streichen können, steht die meiste Zeit verloren in der Gegend herum.

Der 3D-Effekt ist zwar nicht spektakulär aber anständig, speziell die Landschaftsaufnahmen und Szenen im All gewinnen durch den Tiefeneffekt, aber auch in 2D überzeugt die visuell reiche Kameraarbeit von Dariusz Wolski, der bereits für PROMETHEUS mit Ridley Scott zusammen gearbeitet hat.

Wo viel Licht ist, ist bei THE MARTIAN zwar nicht viel Schatten, aber der eine oder andere dunkle Fleck lässt sich nicht verbergen. Der Film schafft es über weite Strecken nicht, die Einsamkeit und Isolation des Hauptprotagonisten zu transportieren, obwohl dieser mehr als 500 Tage alleine auf einem Planeten verbringt. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass mit Zeitrafferaufnahmen immer wieder längere Zeiträume im Schnellvorlauf überbrückt werden. Ein weiterer Schwachpunkt ist der MacGyver-Effekt, denn von der Wasserproduktion bis zur Aufzucht von Gemüse wirkt in vielen Szenen manches zu simpel. Matt Damon schleppt auch am 300. Tag (trotz geringer Schwerkraft) schweres Gerät noch immer mühelos und wohlgenährt über die Marsoberfläche und hier wähnt man sich mehr Teil eines Campingurlaubs in den (Mars) Bergen zu sein. Echter körperlicher Verfall und psychischer Verschleiß sind erst in der letzten halben Stunde des Films deutlich bemerkbar.

Das übertriebene Pathos gegen Ende wird möglicherweise dem amerikanischen Publikum gefallen, hat aber bereits bei GRAVITY (2013) und INTERSTELLAR (2014) den internationalen Kinobesuchern ein Augenrollen beschert. Wenn bei der finalen Rettungsszene zu offensichtlich bei MISSION TO MARS abgekupfert wird, dann sorgt auch das dafür, dass aus einem sehr guten, eben nur ein (sehenswerter) guter Film wird.

Auf eine wichtige moralische Frage verzichtet der Film aber vollkommen. Soll man wirklich Milliarden Dollar für die Rettung eines Menschen ausgeben, wenn mit der gleichen Summe das Leben von Tausenden auf dem Heimatplaneten gerettet werden könnte?

Mr. Spock würde auf diese Frage wahrscheinlich mit »Logic clearly dictates that the needs of the many outweigh the needs of the few« antworten. Die Erwiderung seines Freundes James T. Kirk ist hinlänglich bekannt: »Because the needs of the one outweigh the needs of the many«.

»DER MARSIANER – RETTET MARK WATNEY« (2015)
Originaltitel: The Martian
Regie: Ridley Scott
Verleih DE+AT: 20th Century Fox
Kinostart DE+AT: 8. Oktober 2015
FSK DE: noch nicht bekannt
Zensur AT: noch nicht bekannt
Länge: 141 Minuten
Deutsche Homepage: http://www.fox.de/the-martian