Michael Iwoleits Top 10 der Science Fiction

Die berühmteste Topten-Liste der Welt ist möglicherweise die seit 1952 in Zehnjahresabständen von dem britischen Filmmagazin „Sight & Sound“ durch eine Umfrage unter internationalen Kritikern und Regisseuren ermittelte Liste der besten Filme aller Zeiten. Dass Marcel Carnes Wunderwerk „Les enfants du paradis“ (1943/45) kein einziges Mal auf dieser Liste auftauchte, dass geniale Außenseiter wie Laughtons „The Night of the Hunter“ (1955) oder Oshimas „Ai no corrida“ (1976) auf dieser Liste kaum zu finden sind und um Meilensteine des Genre-Kinos wie „The Killers“ und „Blade Runner“ sicher noch lang ein Bogen gemacht wird – das verrät einiges von den Schwierigkeiten eines solchen Ringens um die Superlative. Topten- Listen sind ein Spiel, bei dem der Listenmacher, wenn mir die drastische Formulierung gestattet ist, die Hosen runterlässt. Er offenbart seine besonderen Kenntnisse und Vorlieben und, vielleicht noch viel mehr, seine Ignoranz und Beschränktheit. Das ist es, was solche Versuche so heikel und manchmal so aufschlussreich macht. Sie können zu einer Diskussion über Maßstäbe und Wertungen anregen. Mehr will auch ich mit meinem bescheidenen Versuch nicht erreichen.

Die folgenden beiden Auswahllisten der angeblich zehn besten Romane und Erzählungen der Science Fiction unterliegen vielfältigen Einschränkungen und werden hier nur als Provisorium vorgelegt. Erstens sind es Listen moderner SF, beschränken sich also auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.(Die „all-time-all-language- topten“ von Shelley, Verne und Wells bis in die Gegenwart zusammenzustellen, daran wage selbst ich mich in meiner Kühnheit nicht). Zum zweiten sind die Listen englisch-lastig und enthalten bislang nur wenige Titel, die außerhalb des angloamerikanischen Sprachraums entstanden sind. Drittens fehlen weitgehend solche bemerkenswerten Außenseiter von genrefremden Autoren wie etwa Don DeLillo’s „Ratner’s Star“. Die meisten Titel entsprechen Brian Aldiss` Definition, die unter Science Fiction das versteht, was unter dem Label Science Fiction erschienen ist.

Um nicht ganz subjektiven Wertungen zu unterliegen, habe ich mich bemüht, die Aussagen berufenerer Kritiker als mir bei meiner Auswahl zu berücksichtigen. Auswahlkriterien sind weder der kommerzielle Erfolg eines Textes (obwohl auch kommerziell erfolgreiche Titel darunter sind), noch ausschließlich der Einfluß, den er auf die SF ausgeübt hat (deshalb finden sich weder Heinlein noch Asimov). Entscheidend war allein die Qualität der schöpferischen und literarischen Leistung. Ich wollte Romane und Erzählungen zusammenstellen, die auf außergewöhnliche Weise die Möglichkeiten des Genres genutzt – und die bewiesen haben, daß die SF viel mehr ist, als der Uneingeweihte sich darunter vorstellt.

Genug der Einleitung (und die Hosen runtergelassen… ;-)



1952

»Limbo« von Bernard Wolfe (1915 – 1985)

Die SF verdankt viele ihrer schlimmsten Niederlagen und manche ihrer größten Triumphe ihrer Neigung, die großen, ultimativen Themen zu behandeln. In Bernard Wolfes Roman geht es um den menschlichen Hang zur Selbstverzerstörung in einem Jahrhundert des Terrors und der Gewalt. Es zeugt von der Ignoranz des Mainstream, daß der SF immer wieder Orwells „1984“ oder Huxleys „Brave New World“ als Musterbeispiele guter Science Fiction vorgehalten werden, diese wohl bedeutendste Antiutopie der amerikanischen Literatur aber notorisch übersehen wird (gegen die sich Huxley mit seinem Gegenentwurf in Gestalt eines edlen Wilden geradezu lächerlich ausnimmt).
„Limbo“ ist einer der meistunterschätzten und zu Unrecht vernachlässigten Romane in der Geschichte der Science Fiction (für den deutschen Leser kommt hinzu, daß er bisher nur einmal – über vierzig Jahre nach dem Original – in einer mäßigen Übersetzung erschienen ist). David Pringle nannte ihn „the most ambitious work of science fiction, and one of the most successful, ever to come out of America.“ J.G.Ballard sprach vom besten SF-Roman, den er neben den Werken Bradburys je gelesen habe.

Es ist ein düster-sarkastisches Szenario einer Nach-Atomkriegswelt, in der Menschen, um ihre gewalttätigen Neigungen loszuwerden, sich die Gliedmaßen amputieren und durch Prothesen ersetzen lassen und in der doch alle bizarren Bemühungen um die Befriedung des Menschen nur in einen neuen Krieg münden. Es ist einer der ersten Romane, der die neue Gedankenwelt der Kybernetik für die SF erschlossen hat. „Limbo“ blieb neben einigen Kurzgeschichten Bernhard Wolfes einziger Beitrag zur Science Fiction. Es ist bis heute eines ihrer anspruchsvollsten Bücher.

Deutsche Taschenbuchausgabe:
Suhrkmap Verlag, st 1659
ISBN 3-518-38159-8
aus dem Amerikanischen von Renate Schein
Titelbild von Tom Breuer
Frankfurt am Main 1989, 16.00 DM, 378 Seiten


1952

»The Demolished Man« von Alfred Bester (1913 – 1987)

Außer William Gibson ist es wohl keinem anderen Autor gelungen, mit einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Werken einen so nachhaltigen Einfluß auf die Science Fiction auszuüben wie Alfred Bester.
Zwei Romane und eine Handvoll Kurzgeschichten in den Fünfzigerjahren haben ihn zu einem der Unsterblichen der SF gemacht. Seine bis heute unübertroffene Gabe war sein Esprit. Seine furiosen, energiegeladenen Romane, seine vor Witz funkelnde Sprache wirken heute noch so frisch wie damals. Ihm ist gelungen, wozu ein A.E. Van Vogt nie imstande war. Er hat des Pulp-Erbe der Science Fiction in Form von Weltraumabenteuern und Telepathen-Stories auf ein neues Niveau gehoben und damit überwunden.

Es ist schwer, zwischen seinen beiden klassischen Romanen „The Demolished Man“ und „The Stars My Destination“ (1956) auszuwählen. Möglichweise gehören beide in diese Liste.

„The Demolished Man“, eine Kriminalgeschichte in einer Welt, in der telepathische Polizisten Verbrechen eigentlich unmöglich machen, ist psychologisch vielleicht etwas interessanter und tiefergehend. Man hat Bester einen stilistischen Pyrotechniker genannt. Seine extravagante, gekonnt mit dem Theatralischen und Melodramatischen hantierende Sprache und seine typographischen Experimente haben die SF um neue Ausdrucksformen bereichert.
Mit Horst Pukallus‘ schon klassischer Übersetzung kann sich auch der deutsche Leser ein Bild davon machen.

Deutsche Taschenbuchausgaben:
Sturm aufs Universum
Goldmann Verlag, Weltraumtaschenbücher 012
aus dem Amerikanischen von Heinz Otto
Titelbild von Eyke Volkmer
München 1962, 2.20 DM, 187 Seiten
Demolition
Heyne Verlag, 06/3670
aus dem Amerikanischen von Horst Pukallus
München 1992

Demolition
Goldmann Verlag, SF Classics 24851
ISBN 3-442-24851-5
München, Februar 1999, 12.90 DM


1959

»A canticle for Leibowitz« von Walter Miller jr. (1923 – 1996)

Walter M. Miller jr. gehört zu den Autoren, durch die das Genre in den Fünfzigerjahren menschlich gereift ist (ähnliche Verdienste haben sich Sturgeon, Dick, Sheckley und einige andere erworben). Wie Bester hat er ein im Umfang schmales, in der Bedeutung aber gewichtiges Werk zur SF beigetragen.

Sein Roman „A Canticle for Leibowitz“ (dt. »Lobgesang auf Leibowitz«), einer der ersten Bestseller der SF, ist vermutlich das einzige Buch in dieser Auswahl, das auf der Topten-Liste fast jedes SF-Kenners auftauchen würde. Millers einziger Roman ist eine großangelegte, aus drei Epochenauschnitten zusammengesetzte Vision einer zyklischen Menschheitsgeschichte zwischen Untergang, Aufstieg und erneutem Untergang. Wie Bernard Wolfe behandelt auch Miller eine der „großen“ Fragen: das Wechselspiel von Religion und Wissenschaft, Glaube und Intellekt. Den meisten SF-Lesern dürfte der religiöse Gehalt dieses Buches fremd geblieben sein, es ist aber ohne Zweifel eine großartige epische Leistung und möglicherweise der Klassiker der modernen SF schlechthin.

Deutsche Taschenbuchausgaben:
Heyne Verlag, TB 06/3342
Ungekürzte Neuausgabe
aus dem Amerikanischen von Jürgen Saupe & Walter Erev
Titelbild von Karel Thole
München 1979, 5.80 DM, 320 Seiten
Heyne Verlag, Bilbliothek der SF-Literatur 49
München 1986


1961

»Solaris« von Stanislaw Lem (1921 – 2006)

Ich halte es für verfehlt, Lem zu der einen großen Ausnahmeerscheinung in der Science Fiction, zu dem einzigen bedeutenden Schriftsteller in einem Meer der Trivialität zu erklären, als das die Science Fiction gern angesehen wird.
Der allmähliche Erfolg Dicks, die auch außerhalb des Genres angewachsene Anerkennung für Ballard oder die enorme Nachwirkung eines William Gibson haben seinen Rang doch etwas relativiert.

Dennoch hat er einige große Würfe zur Science Fiction beigetragen, auf humoristischer Seite seine Robotermärchen und sein Geschichtenzyklus um den Raumfahrer Ijon Tichy, auf der ernsten, kontemplativen Seite vor allem dieser Roman, zu Recht einer der berühmtesten der neueren SF (nicht zuletzt dank Andrej Tarkowskijs Verfilmung). Lems Reaktion auf Tarkowskijs Film hat deutlich gemacht, daß ihm das Rätsel Solaris – eines planetenumspannenden Ozeans, der sich als ein einziger Organismus herausstellt – als ewige Herausforderung an die menschliche Erkenntnisfähigkeit am wichtigsten war. Doch „Solaris“ ist auch eine Tragödie, die Begegnung eines Menschen mit seiner unverarbeiteten Schuld. Eine ähnliche menschliche Aussagekraft wie in diesem Buch hat Lem nie wieder erreicht. Es ist diese fast unmögliche Verknüpfung von Science Fiction im engeren Sinn mit intimen menschlichen Aspekten, die „Solaris“ zu einem Meisterwerk gemacht hat.

Deutsche Taschenbuchausgabe:
dtv, 10177
ISBN 3-456-45868-0
aus dem Polnischen von Irmtraud Zimmermann-Göllheim
Umschlaggestaltung der abgebildeten Ausgabe (2. Auflage 1984): Celestino Piatti
München, 238 Seiten


1967

»Pallas ou la Tribulation« von Edward de Capoulet-Junac

Dies dürfte der am wenigsten bekannte und überraschendste Beitrag zu meiner Liste sein (er erschien auf Deutsch unter dem Titel »Pallas oder die Heimsuchung«). Capoulet-Junacs Roman gehört zu einem kleinen, erlesenen Subgenre, das ich als „misantrophische SF“ bezeichnen möchte und zu der außer „Pallas“ nur Thomas M. Dischs „The Genocides“, das „Picknick am Wegesrand“ der Brüder Strugatzkij und einige verstreute Kurzgeschichten gehören.
Diesen Werken ist gemeinsam, daß sie die menschliche Hybris, sich als „Krone der Schöpfung“ zu betrachten, gründlich demontiert haben. Eine Zusammenfassung von „Pallas“ könnte auf einen Invasionsroman schließen lassen, wie es ihn schon tausendfach gegeben hat: krakenartige Außerirdische entführen einige Hundert Menschen auf ihren Heimatplaneten, wo sie sie als eine Art Schoßhündchen in ihren Behausungen halten. Es ist jedoch ein Meisterstück, mit welcher Gründlichkeit und Genauigkeit und mit welch einem glasklar-nüchternen Stil Capoulet-Junac die immer verzweifeltere Extremsituation der Menschen auf Pallas schildert, denen es weder durch Rebellion noch durch intellektuelle Anstrengungen noch durch sexuelle Annäherungen gelingt, von ihren Herren als vernunftbegabte Wesen mit eigener Würde jemals anerkannt zu werden.

Das Ganze ist ebenso eiskalt-konsequent wie poetisch und macht „Pallas“ zu einem der eigenständigsten Romane (nicht nur) der kontinentaleuropäischen SF.

Deutsche Taschenbuchausgabe:
Suhrkamp Verlag, st 1138
ISBN 3-518-37638-1
aus dem Französischen von Willy Thaler
Titelbild von Tom Breuer
Frankfurt am Main 1985, 9.00 DM, 191 Seiten


1967

»The left Hand of Darkness« von Ursula K. LeGuin (1929 – )

Warum „The Left Hand of Darkness“ (dt. »Die Linke Hand der Dunkelheit«), werden LeGuin-Kenner fragen, und nicht „The Dispossessed“ (1974), diesem großen Wurf, dem der wohl einzigartige Brückenschlag zwischen den utopischen und den antiutopischen Traditionen der Science Fiction gelungen ist?

Es mag ein persönliches Geschmacksurteil sein, daß ich „The Left Hand of Darkness“ für das intensivere Leseerlebnis halte – aber wenn ja, dann stehe ich mit diesem Urteil nicht allein da.
LeGuins Roman ist ein Meisterwerk epischen Erzählens, die Wanderung über das Eis im Schlußteil bezeichnet David Pringle zu Recht als „a tremendous piece of descriptive writing“.
Darüber hinaus demonstriert „The Left Hand of Darkness“ eine der fruchtbarsten Möglichkeiten der Science Fiction: sie kann uns aus dem Blickwinkel des Fremden unverhoffte Erkenntnisse über uns selbst vermitteln.

Die Menschen auf Karhide, dem „Winterplaneten“ des deutschen Titels, sind weder Mann noch Frau, sondern latente Hermaphroditen, bei denen sich in periodischen Abständen immer wieder neu entscheidet, ob sie die weibliche oder die männliche Rolle einnehmen, Kinder gebären oder Kinder zeugen. LeGuin zeigt bis in Details, bis in Mythologie und Volksgut hinein, welche Konsequenzen diese Zwitternatur für die Kultur der Karhider hat.
Selbst Stanislaw Lem konnte seine Anerkennung diesem Roman nicht verweigern, der als einer der wenigen der neueren SF in die Weltliteratur eingegangen ist.

Deutsche Taschenbuchausgabe:
Heyne Verlag, 06/3400
aus dem Amerikanischen von Gisela Stege
München 1974
Heyne Verlag, Bibliothek der SF-Literatur 84
ISBN 3-453-05026-6
Titelbild von Thomas Thiemeyer
München 1993 (2. Auflage), 14.80 DM, 366 Seiten


1969

»Barefoot in the head« von Brian W. Aldiss (1925 – )

„Barefoot in the Head“ (dt. »Barfuß im Kopf«) ist neben „Limbo“ der wohl am meisten mißachtete Roman in dieser Auswahl.

Ein Grund dafür könnte sein, daß er eines der kühnsten sprachlichen Experimente der SF und ein ausgesprochenes Produkt der Spätsechziger, einer aufgeladenen Atmosphäre aus Rebellion, Drogen und Rock’n’Roll ist. „Barefoot in the Head“ könnte man mit einiger Berechtigung als das „Finnegans Wake“ der Science Fiction bezeichnen, eine Sprengung der konventionellen Erzählsprache, eine Prosa-Orgie aus unzähligen Wortspielen, Neologismen und Anspielungen (und daher eine mörderische Herausforderung für jeden Übersetzer – der Joachim Körbers deutsche Übersetzung nicht annähernd gerecht wird.)

Bis Ende der Sechzigerjahre war Brian Aldiss eine Art Idealtypus des modernen SF-Autors, allgemein literarisch gebildet einerseits, mit den Traditionen des Genres vertraut andererseits und ein glänzender Erzähler.

In „Barefoot in the Head“, der Geschichte eines Gurus wider Willen, der durch ein mit halluzinogenen Drogen bombardiertes Europa einen musikalischen Kreuzzug unternimmt, hat er nach eigenen Aussagen seine ganzen literarischen Erfahrungen in die Waagschale geworfen. Das Buch mit einigen der stärksten Prosapassagen in der gesamten Science Fiction hat aber nie die ihm gebührende Anerkennung gefunden.

Deutsche Taschenbuchausgabe:
Bastei-Lübbe, TB 24105
ISBN 3-404-24105-3
aus dem Englischen von Joachim Körber
Titelbild von Warner Books
Bergisch Gladbach 1988, 7.80 DM, 318 Seiten


1969

»Ubik« von Philip K. Dick (1928 – 1982)

Es ist fast unmöglich, aus Dicks Gesamtwerk von rund fünzig Romanen – dem wohl gewichtigsten und einflussreichsten Lebenswerk eines Science Fiction-Autors seit H.G.Wells – nur einen auszuwählen. „Daß jemand über eine so lange Zeitperiode hinweg soviel Fleiß, Zielgenauigkeit und Kraft in seine Arbeit steckt, ist kaum zu fassen„, sagte Barry N. Malzberg einmal bewundernd über seinen Kollegen.

Dicks unermüdliche Beschäftigung mit der Natur der Realität und der Menschlichkeit ist von einer Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit, zu der es in der Science Fiction kein Gegenstück gibt. Obwohl auch seine Kurzgeschichten von manchen Lesern sehr geschätzt werden, war er wohl der stärkste Romancier in der amerikanischen SF, ein Meister in der Entwicklung seiner Charaktere und im Ausfabulieren schicksalhafter Raum-Zeit-Verschlingungen.

Er hat mehr als ein Meisterwerk geschrieben. „Martian Time Slip“ (1964) wäre hier zu nennen, „The Three Stigmata of Palmer Eldritch“ (1964) oder das meines Erachtens unterschätzte SF-Melodram „Now Wait for Last Year“ (1967).

Alle Kritikermeinungen zusammengenommen gilt aber wohl „Ubik“ als sein bester Roman. In ihm ist alles zu finden, was Dick ausmacht: das Prekäre der Realität, ausgedrückt durch instabile Welt der Halblebenden, das Dilemma des Dickschen „Jedermanns“, verkörpert in der Gestalt des Joe Chip, und nicht zuletzt sein typischer Humor. Das Ganze ist in eine brillant konzipierte Handlung eingebettet, die Uralt-Motive der Science Fiction so überhöht, daß aus einem SF-Roman ein metaphysischer Thriller wird.

Deutsche Taschenbuchausgabe:
Suhrkamp Verlag, st 440
ISBN 3-518-36940-7
aus dem Amerikanischen von Renate Laux
Umschlagzeichnung von Hans Ulrich & Ute Osterwalder
Frankfurt am Main 1977, 9.00 DM, 222 Seiten


1972

»The fifth head of Cerberus« von Gene Wolfe (1931 – )

Gene Wolfe galt schon bei Kennern als einer der literarisch besten amerikanischen SF-Autoren und sein Roman „The Fifth Head of Cerberus“ (dt. »Der fünfte Kopf des Zerberus«) als Geheimtip, noch bevor er 1980-82 mit dem vierbändigen Roman „The Book of the New Sun“ ein Meisterwerk in dem heiklen Subgenre der Science Fantasy vorlegte, ein Dying-Earth-Roman in Verkleidung einer Sword & Sorcery-Saga, und sämtliche SF-Preise einheimste.

Wie in diesem Zyklus erweist sich Gene Wolfe auch in „The Fifth Head of Cerberus“ als ein Meister der Doppelbödigkeit. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint, hinter jeder Enthüllung verbergen sich neue Geheimnisse.

Der aus drei (auch seperat veröffentlichten) Novellen zusammengesetzte Roman schildert die Versuche eines Mannes, auf zwei einst von Franzosen kolonialierten Schwesterplaneten seine Identität zu ergründen und die Kultur der Ureinwohner zu rekonstruieren.

Es gibt nichts in der Science Fiction und wenig außerhalb von ihr, was sich mit dem dichten Gewebe dieses Romans vergleichen ließe. In ihm hat sich die Tradition des Gotischen Romans mit einem der unterschwelligen Hauptthemen der Science Fiction, der Suche des Menschen nach seiner Identität, zu einer einzigartigen erzählerischen Leistung verbunden. Das Buch fordert wie nur wenige andere SF-Romane Aufmerksamkeit und Scharfsinn des Lesers und belohnt ihn mit einem Leseerlebnis, das auch nach vielfacher Lektüre noch Neues unter der trügerischen Oberfläche seiner ruhigen Erzählweise zutage fördert.

Deutsche Taschenbuchausgaben:
Heyne Verlag, TB 06/3415
aus dem Amerikanischen von Yoma Cap
München 1974
Heyne, Bibliothek der SF-Literatur 81
München, 1991


1972

»The Sheep look up« von John Brunner (1934 – 1995)

Es ist selten fruchtbar, in der Science Fiction eine Zukunftsliteratur zu sehen, welche die Aufgabe hat, uns vor verhängnisvollen Entwicklungen zu warnen. Die bloße Verlängerung aktueller Trends in die Zukunft führt meist zu plakativen, illustriertenhaften Aneinanderreihungen populärer Schreckgespenster des Zeitgeistes.

John Brunners Hauptwerke bilden eine Ausnahme von dieser Regel. Zu ihren Hauptverdiensten gehört es, daß sie die Darstellungsform des Amerikaners John Dos Passos, in dessen Romanen es keine Hauptfiguren, keine durchgängige Handlung, nur ein schlaglichtartiges Panorama der Gesellschaft als Ganzes gibt, auf die Science Fiction übertragen haben.
Der Protagonist dieser Chronik des frühen 21. Jahrhunderts ist die Erde„, heißt es in Reclams SF-Führer zu Brunners Science Fiction-Monument „Stand on Zanzibar“, in dem er 1968 Dos Passos‘ Methode erstmals erfolgreich erprobt hat.

Das trifft auch auf den Roman „The Sheep Look Up“ (dt. »Schafe blicken auf«) zu, der von manchen Kritikern und Lesern noch höher eingeschätzt wird. Die brennenden Themen unserer Zeit, vor denen ein Großteil der zeitgenössischen Literatur außerhalb der SF bis heute zurückschreckt – Umweltverschmutzung, urbanes Elend, staatlicher Terror -, hat Brunner in diesem Buch zum ultimativen Alptraum einer vergewaltigten Erde verdichtet. Wenige Bücher sind so wie „The Sheep Look Up“ geeignet, neue Leser von den seriösen Möglichkeiten der SF zu überzeugen.

Deutsche Taschenbuchausgaben:
Heyne Verlag, TB 06/3617
aus dem Amerikanischen von Horst Pukallus
München 1978
Heyne Verlag, 06/8003
München 1997