Deutscher Science Fiction Preis 2002: Die Gewinner!

Logo des Science Fiction Club Deutschland e.V.
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Am Samstag, den 22. Juni 2002, wurde im Rahmen des ColoniaCons im Kölner Jugendpark bereits zum 18. Mal der Deutsche Science Fiction Preis (ehemals SFCD-Literaturpreis) verliehen.

Mit dem Deutschen Science Fiction Preis würdigt der Science Fiction Club Deutschland e.V. (gegr. 1955) den besten deutschsprachigen Roman und die beste deutschsprachige Kurzgeschichte des Vorjahres im Genre. Der Preis ist mit je 500 Euro dotiert und damit die einzige derartige Auszeichnung für SF-Literatur in Deutschland.

Der Deutsche Science Fiction Preis wird von einem Preiskomitee vergeben, daß alle relevanten Neuerscheinungen des Vorjahres erfaßt und liest. Nach einer Nominierungsrunde, auf der in diesem Jahr acht Romane und elf Kurzgeschichten landeten, entschied sich das diesmal aus neun Mitgliedern bestehende Preiskomitee für folgende Gewinner:

Bester Roman

»Die Zeitmaschine Karls des Großen«
von Oliver Henkel
BookonDemand, ISBN 3-426-19700-6

Beste Kurzgeschichte
»Wege ins Licht«
von Michael K. Iwoleit
in Wolfgang Jeschke (Hrsg.), »Reptilienliebe«, Heyne; oder bei: SF-Stories.de

Udo Emmereich bei der Preisverleihung
Sowohl Michael K. Iwoleit, als auch Oliver Henkel waren in Köln zur Verleihung anwesend und nahmen dort unter dem Beifall der anwesenden Conbesucher vom Komiteevorsitzenden Udo Emmerich die obligatorische SFCD-Buchstütze und einen Scheck über je 500 Euro entgegen.

Im folgenden nun die komplette Auswertung und die beiden Laudationes:

BESTER ROMAN

1. »Die Zeitmaschine Karls des Großen« von Oliver Henkel (Books on Demand)
2. »Quest« von Andreas Eschbach (Heyne)
3. »Der 21. Juli« von Christian von Ditfurth (DroemerKnaur)
»Der Zensor« von Marcus Hammerschmitt (Argument Verlag)
4. »Gottes Gehirn« von Jens Johler & Olaf-Axel Burow (Europa Verlag)
5. »Downtown Blues« von Myra Çakan (Argument Verlag)
6. »Das Weltenpendel« von Harry Kreuzmann (R.G. Fischer)
7. »Die verbesserte Frau« von Barbara Kirchner (Verbrecher Verlag)


Laudatio:
Oliver Henkel: Die Zeitmaschine Karls des Großen
Deutscher Science Fiction Preis 2002: Bester Roman

Die Zeitmaschine Karls des Grossen
1550 ab urbe condita (796 n. Chr.): Ganz Europa wird von den Römischen Imperien beherrscht. Ganz Europa, zu dieser Zeit? Ganz recht, Odoaker hat es nämlich nicht geschafft, Romulus Augustulus abzusetzen, stattdessen wurde Marcus Scorpio Kaiser, und seine Dynastie herrscht noch immer. Doch da ist der völlig unbedeutende fränkische Vasallenkönig Karl, der über eine Zeitmaschine verfügt, die er einem US-Zeitreisenden abgeknöpft hat. Der hat zuvor in Pompei unsere Zeitlinie gründlich durcheinandergebracht. Nun versucht Karl im Geheimen, herauszufinden, was denn nun schiefgegangen ist in Pompei. Gleichzeitig aber, da er dem vorgeblichen Zeitreisenden nicht so ganz traut, betreibt Karl seine Kaiserkrönung in seiner eigenen Zeitlinie und schreckt dabei vor nichts zurück…

Dieser Kurzabriß der Handlung kann natürlich nicht die erzählerische Tiefe des Romans widerspiegeln. Oliver Henkel zeichnet eine völlig plausible (und bessere!) alternative Zeitlinie, die er kenntnisreich mit vielen Details ausstattet. Dies beginnt mit der Rettung des Imperiums durch Rufus Scorpio, bezieht bekanntere und unbekanntere Einzelheiten der Geschichte wie Mohammed (hier Mahometus genannt) mit ein und bringt auch »neue« Erfindungen ins Spiel wie den optischen Telegraphen, den Buchdruck oder das Fernrohr.

 

Oliver Henkel Oliver Henkel (rechts) nimmt den Preis vom Komiteevorsitzenden Udo Emmerich entgegen
Bei den handelnden Personen konzentriert sich Oliver Henkel vor allem auf Andreas Sigurdius, den Sohn eines ostgotischen Grafen und einer Lateinerin. Er arbeitet für das Officium Foederatii, das die Belange der zum Weströmischen Imperium gehörenden Germanenstämme verwaltet, und ist mit Claudia, der Tochter des Präfekten des Officiums, Marcellus Sator, verlobt. Dieser ist ein Onkel des Imperators Rufus VIII. Scorpio und hat einen ungewöhnlichen Auftrag für seinen künftigen Schwiegersohn: Er soll im Frankenreich die rätselhaften Vorgänge untersuchen, die oströmische Spione gemeldet haben. So baut König Karl offenbar eine Reiterstreitmacht auf, erhebt als »Karl der Große« Anspruch auf den römischen Kaiserthron und sät Unfrieden zwischen den Nicaeern (Vorläuferin der katholischen und orthodoxen Kirche) und den Arianern (die in unserer Welt zu dieser Zeit bereits ausgerottet waren). Marcellus Sator sieht darin eine direkte Bedrohung des Imperiums, zumal gleichzeitig Shahinshah Hormuzan zum Angriff auf Konstantinopel ansetzt. In einer ähnlichen Konstellation hatte schon Frankenkönig Theudebert versucht, Rom zu erobern.

Andreas Sigurdius trifft nun in Trevera (Trier) auf einen US-amerikanischen Zeitreisenden, der versucht, den von seinem Landsmann angerichteten Schaden wiedergutzumachen. Sigurdius tut sich mit Captain Franklin Vincent zusammen, um den ersten Zeitreisenden zu finden sowie die genaue Veränderung im Zeitablauf, um den Fehler korrigieren zu können. In der Zwischenzeit tobt der Krieg mit Persien mit zunächst ungewissem Ausgang. Bald darauf fällt Karl in Italien ein, und es sieht ganz so aus, als ob der Plan des Möchtegernkaisers gelingen wird…

Oliver Henkel gelingt es ausgezeichnet, die Elemente Zeitreise und Alternative Zeitlinie zu verbinden. Dabei beschränkt er sich nicht alleine darauf, eine spannende und unterhaltende Geschichte zu erzählen, nein, er wirft auch interessante ethische Fragen auf: Welches Recht hat Captain Vincent, zu entscheiden, welche der beiden alternativen Zeitlinien die »richtige« ist? Zumal die alternative Zeitlinie ganz offensichtlich viel besser und weniger blutig verläuft – hervorragend verdeutlicht durch die im Handlungsverlauf eingestreuten Alpträume. Gleichzeitig fragt sich der Leser, wie denn unsere Welt so intolerant und selbstzerstörerisch hat werden können. Henkel deutet hier die Erklärung an, daß die Verfolgung der „Hexen“ und des Übernatürlichen hier eine Rolle spielen könnte – das alternative Römische Reich ist da sehr tolerant!

Dieser hervorragende Roman bleibt dem Leser im Gedächtnis, denn er erzählt nicht nur eine faszinierende Geschichte, sondern regt darüber hinaus zum Nachdenken über unsere eigene Welt an, und das ganz ohne erhobenen Zeigefinger einfach so nebenbei. Science Fiction ist immer dann am besten, wenn sie die Probleme unserer Gegenwart unter neuen Gesichtspunkten reflektiert, was hier eindrucksvoll und ganz zwanglos eingeflochten wird und die Erzählung bereichert. Das Preiskomitee freut sich daher, diesen Ausnahmeroman, der noch dazu als »Book on Demand« ohne Hilfe eines Verlags erschien, mit dem Deutschen Science Fiction Preis 2002 würdigen zu können.

Martin Stricker für das Preiskomitee 2002

BESTE KURZGESCHICHTE

1. »Wege ins Licht« von Michael K. Iwoleit
(in: Wolfgang Jeschke (Hrsg.), Reptilienliebe, Heyne; oder bei: SF-Stories.de)
2. »Die letzte Fahrt der ENORA TIME« von Andreas Gruber
(in: Andreas Gruber, Die letzte Fahrt der ENORA TIME, Shayol)
3. »Homunculus 2041« von Christian von Aster
(in: Das Goldene Kalb, Medusenblut/Midas Publishing)
4. »Sinzigs Arche« von Thorsten Küper
(in: Sinzigs Arche/Ein normaler Tag im Leben eines Gottes, G. Meyer’s Verlag)
5. »Die Sonde« von Werner Zillig
(in: Jörg Weigand (Hrsg.), Wagnis 21, MUT-Verlag)
6. »Nick Brandberg oder Die Geburt eines Axioms« von Berthold Krevert
(in: ALIEN CONTACT 42, Edition Avalon)
7. »Die Flotte« von Christian von Aster
(in: Das Goldene Kalb, Medusenblut/Midas Publishing)
8. »Terraforming« von Boris Koch
(in: Das Goldene Kalb, Medusenblut/Midas Publishing)
9. »Odyssee in Rot« von Frank W. Haubold
(in: Frank W. Haubold, Das Tor der Träume, EDFC e.V.)
10. »Sausage Wars« von Bernd Flessner
(in: Reisen zum Planeten Franconia, Verlagsdruckerei Ph. C. W. Schmidt)
11. »Chain Gang« von Bettina Balàka
(in: Werner Schandor (Hrsg.), 2001, Edition Kürbis)

Laudatio: Michael K. Iwoleit: »Wege ins Licht«
Deutscher Science Fiction Preis 2002: Beste Kurzgeschichte

Michael K. Iwoleit bei der Preisverleihung

Michael K. Iwoleit bei der Preisverleihung
Unsterblichkeit – ein uralter Menscheitstraum!
Jede Weltreligion tröstet den Menschen mit dem Versprechen auf ein ewiges Leben in der einen oder anderen Form über seine Sterblichkeit hinweg. Philosophen haben über die Möglichkeit von Unsterblichkeit nachgedacht. Auch die Science-Fiction-Literatur ist voll von Unsterblichen, die diese Gabe oft als Belohnung für besondere Verdienste erhalten. Ganz anders verhält es sich in der Erzählung »Wege ins Licht« von Michael K. Iwoleit. Unsterblichkeit wird hier zur Krankheit.

Die Klimaerwärmung konfrontiert die Hafenstadt Armanghaust mit besonderen Herausforderungen. Sowohl von den vorgelagerten Inseln, die durch den Anstieg des Meeresspiegels überflutet werden, als auch aus dem mehr und mehr zur Wüste mutierenden Hinterland strömen Millionen von Flüchtlingen in die Stadt. Die überforderten Stadtherrscher wissen sich nur noch mit bloßer Gewalt zu helfen.

Die Todesschwadrone erhalten eine Spezialausrüstung, damit sie gegen die bloße Zahl der Flüchtlinge bestehen können: Ihr Blut enthält kleine Nanorobots, die regelmäßig ein Körper- und Bewußtseins-Backup ihres Trägers abspeichern. Wenn der Mensch stirbt, bauen ihn diese kleinen Helfer entsprechend dem letzten Backup wieder zusammen und erwecken ihn zu neuem Leben.

Überraschender Weise ist diese Art der Unsterblichkeit quasi-infektiös übertragbar. Gerade den Menschen, die eigentlich getötet werden sollten, wird so zur Unsterblichkeit verholfen. Der einzige Haken an der Sache: Bei jeder Wiederauferstehung geht ein Teil der Matrize verloren. Körperliche Defekte und Erinnerungslücken entstehen.

Iwoleit versetzt den Leser in die apokalyptische Atmosphäre der Megalopolis Armanghaust und ihres öden Umlands. Beklemmend sind die Schilderungen des Wiederauferstehungsprozesses: wenn Blutlachen anfangen zu zucken, sich nach und nach Nervenbahnen und Blutadern ausbilden, bis schließlich der ursprüngliche Mensch sich wieder erhebt.

Auch Unsterbliche brauchen einen Sinn in ihrem Leben. Nur kurze Zeit lässt sich der Protagonist treiben und genießt die Möglichkeit, ohne Furcht vor Sanktionen gegen alle Gesetze zu verstoßen. Seine Lebensaufgabe wird die Rache an dem Mann, der ihn in einer auschwitz-artigen Massenverbrennungsanlage töten wollte. Der Held infiziert auch seinen Mörder mit der Unsterblichkeit, um ihn immer wieder von Neuem töten zu können.

Zwischen dem Protagonisten, seinem Mörder und dessen Frau entwickelt sich eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung – frei von Sex, aber nicht ohne Erotik. Alle drei Beteiligten machen überraschende Entwicklungen durch. Besonders die Frau übernimmt eine zunehmend aktive Rolle.

Am Ende taucht in dieser verdrehten Welt so etwas wie Hoffnung für die in wahrsten Sinne des Wortes unsterblich Kranken auf: Einige Forscher, die sich in einer sektenartigen Gemeinschaft zusammen gefunden haben, sollen eine Möglichkeit gefunden haben, die Unsterblichen wieder sterblich zu machen. Ob wirklich alle Kranken von dieser Möglichkeit zur Erlösung Gebrauch machen werden?

Michael K. Iwoleit hat in der Erzählung »Wege ins Licht« dem Uralt-Thema Unsterblichkeit völlig neue, überraschende Aspekte abgerungen. Besonders gelungen ist die Schilderung, wie sich gesellschaftliche Werte durch das reine Vorhandensein von Unsterblichen wandeln. Diese philosphischen Überlegungen verpackt er in eine spannende Geschichte mit einem überzeugenden sozialen Rahmen. Die handelnden Personen sind einfühlsam und lebendig charakterisiert.

Das Preiskomitee ist sich einig, dass im vergangenen Jahr eine ganze Reihe guter Kurzgeschichten nominiert wurden. Um so schwerer wiegt es, dass sich Michael K. Iwoleits Erzählung »Wege ins Licht« gegen starke Konkurrenz verdient durchsetzen konnte.


Ralf Bodemann für das Preiskomitee 2002

Internet:

Science Fiction Club Deutschland e.V.
http://www.sfcd-online.de

DSFP Aktuell
http://www.dsfp.de

Quelle: Udo Emmerich für den DSFP 2002