Wolfgang Jeschke (Hrsg.) – Die letzten Bastionen

Wolfgang Jeschke (Hrsg.) Die letzten BastionenInternationale Science Fiction Stories
Heyne TB 06/5880
ISBN 3-453-12659-9
Anthologie, Originalausgabe
diverse Übersetzer
Titelbild von Boros Attila
München Dezember 1997, 17.90 DM, 530 Seiten

In diesem Sammelband sind 18 Geschichten versammelt, die zwischen 10 und 112 Seiten lang sind. Immerhin fünf der Erzählungen stammen aus Deutschland – davon waren zwei bereits im „Andromeda Magazin 140“ des Science Fiction Club Deutschland e.V. veröffentlicht worden. „Die letzten Bastionen“ bietet einen faszinierenden Einblick in die SF der Neunziger: überraschend in der Vielfältigkeit, sowohl des Ausdrucks als auch des Inhalts.

Will McCarthy kann in „Amerikano Hiaika“ mit seiner Vision eines Tokio der Zukunft nicht voll überzeugen – seine Geschichte gemahnt zu sehr an Vorbilder wie Blade Runner und Black Rain. Der SF-Einfall (eine Persönlichkeit in einer Droge zu speichern) wirkt zunächst verblüffend und kann, als sich die multiplen Persönlichkeiten begegnen, sogar faszinieren, ist aber im Ergebnis zu schwammig umgesetzt: Deutliche Erklärungen werden vermieden, logische Abgründe tun sich auf. Schließlich kommt das Finale zu schnell – die Spannung verpufft in einem billigen Showdown, der nicht einmal aufregend ausgeführt wird.

Jaques Mondoloni beschäftigt sich in seiner sarkastischen Satire „Morgen spreche ich amerikanisch mit meinem Hund“ mit der Urangst aller Franzosen: Der Kastration ihrer Sprache. Per Gesetz wird Amerikanisch als Landessprache eingeführt. Wer sich dem nicht fügen will, wird schwer bestraft. Aufdringliches Thema, vor allem für Nicht-Franzosen, aber feinsinnig umgesetzt.

Rainer Erlers „Der Schlangenmensch“ ist ein Beispiel, was wohlgesetzte Worte in einer kammerspielartigen Handlung bewirken können: Sie lenken von der reichlich konstruierten „Handlung“ ab und fokussieren das Interesse des Lesers auf dem Innenleben der Hauptperson während eines atemberaubenden Kunststücks. Typische deutsche SF, könnte man sagen – gefallen hat mir die Story dennoch.

Brian W. Aldiss‘ „Rattenvogel“ habe ich jedoch nach einigen Seiten aufgegeben: Allzu belanglos inszeniert und reichlich verwirrend aufgebaut – nicht mein Stil.

Cherry Wilder aus Neuseeland erzählt die „Ballade von Hilo Hill“, eine Story von einer anderen Welt. Unterhaltsame Fantasy.

Christian Lautenschlag zitiert in seiner Geschichte „Ich komme aus meinen Schwingen heim“ Rainer Maria Rilke und macht damit deutlich, daß es nicht so beschwingt und „einfach“ weitergeht. Seine Geschichte zerfällt scheinbar in zwei Teile: Die eines Indianerstammes kurz vor seinem Untergang und der eines „Raumschiffes“ auf seiner Reise in die Unendlichkeit. In Wirklichkeit geht es jedoch um Individualität innerhalb einer nicht greifbaren Masse – der Autor kann aber nicht immer die weitschweifigen erzählerischen Passagen mit den knappen Erläuterungen verbinden. Dadurch wirkt die Story oft belanglos… nun sagen wir es: langweilig.

Europäische SF präsentiert auch der Tscheche Ondrej Neff in „Richard Heydrichs Siebte Inkarnation“: Derart erschreckende Geschichten über die Nazis sind Amerikanern meist nicht vergönnt. Neff vermeidet plumpe Klischees und zeichnet ein Charakterbild von fürchterlicher Klarheit: Der Nationalsozialist, der glaubt, ein guter Mensch zu sein und dies (s)einem Wahn opfert. Eine bewegende Geschichte mit einem unaufdringlichen SF-Element, welches sich ausgezeichnet einpaßt.

In der Titelstory „Die letzten Bastionen“ von Michael Vyse aus den USA steckt nicht mehr als eine platte, langgezogene Pointe ohne großen Witz. Endzeit-SF ohne Profil.

Abgedreht und bizarr geht es mit Stephen Baxters „Das Blut der Engel“ weiter, einer Story, die auf der infolge einer Himmelskörperkollision gefrorenen Ende spielt. Nur für einen Monat im Jahr taut der Ozean, in welchem die angepaßten letzten Reste der Menschheit leben, auf. Leider ist Baxter zu diesem aufregenden Szenario keine anständige Handlung mehr eingefallen.

In „Gespalten“ von Adam Wisniewski-Snerg teilt sich die Persönlichkeit eines Mannes in zwei konkurrierende Persönlichkeiten: Einer will seine Geliebte heiraten, der andere möchte sie ziehen lassen und seine Freiheit behalten. Die Dialoge sind teilweise köstlich, die Psychologie der Hauptperson ausgezeichnet herausgearbeitet: Eine kurze, kappe und treffende Erzählung, welche das SF-Motiv nur benutzt, aber im Grunde weder Science noch Fiction ist.

Achim Stößers Story „Haare“ hat mir gleichfalls gefallen; Nicht so sehr die an „Alienation“ erinnernde Konstruktion, sondern die Dialoge. Vorzüglich sinniert der Autor über Religion und (Menschen-)Würde und kann trotz des einfachen Aufbaus der Geschichte inhaltlich voll überzeugen. Dabei kommt er ab und an zu belehrend daher, zu wenig locker und vor allem deutlich zu ernst. Das es auch anders geht, werden wir noch sehen. Auf alle Fälle ein Name, den man sich merken muß!

„Das Fabularium“ des Amerikaners Ray Aldridge ist eine in jedem Sinne bezaubernde Erzählung von einem Roboter, dessen Beruf es ist, Legenden zu erfinden. Am Schluß stellt sich die Frage, ob das Erzählen wirklich eine „geistlose“ Tätigkeit ist, eine Fähigkeit die man erlernen kann, oder ob sie tatsächlich mit Inspiration und Selbstbewußtsein zu tun hat. Eine Kumulation gelungener Aussage und mitreißender Ideen.

Konrad Schaef erzählt dagegen mit „Kryptomnesia“ eine in wahrstem Sinne „kalte“ Geschichte – stilistisch sehr auf Technik aufbauend. Die Charakterzeichnung der Hauptperson berührt einen nicht sonderlich, die Pointe ist allzu plump.

Geoffry A. Landis‘ „Mit der Sonne und die Wette“ berichtet von einer Bruchlandung auf dem Mond und dem Versuch einer Frau, am Leben zu bleiben. Dazu muß sie einmal um den Mond laufen, um das lebensspendende Sonnenlicht nie zu verlieren. Im wesentlichen langatmig und in den psychologischen Passagen zu trivial. Wer die inhaltlich ähnliche Story von Andreas Eschbach („Die Wunder des Universums“ in SFMedia 132) kennt, wird sofort wissen, was ich meine.

„Der Tourist“ von Paul Park ist eine satirisch-witzige Zeitreisegeschichte mit Hintersinn: Menschen können in die Zeit zurückreisen wie in andere Länder. Zeitparadoxa gibt es nicht: Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern. Somit beginnt die rückwirkende Kolonialisierung der „Geschichte“ – der American Way of Life wird nachträglich überall eingeführt. Köstlich.

Die mit Abstand längste Erzählung des vorliegenden Bandes stammt von dem SFCD-Literaturpreisträger Markus Hammerschmitt und heißt „Target“. Sie ist gleichzeitig auch ein Höhepunkt des Taschenbuches (leider auch, was die Anzahl der Setz- und Rechtschreibfehler betrifft). Inhaltlich geht es um die Erforschung einer Anomalie auf einem öden Planeten: In einem Krater hat sich ein undurchdringlicher Urwald gebildet, in dessen Mitte wiederum ein „Loch“ zum Grund führt. Während das Militär (natürlich) alles am liebsten niederbrennen würde, macht sich eine Expedition auf, den Wald zu erkunden. Hammerschmitt glänzt durch bizarre Einfälle und einen gut konstruierten Plot. Vor allem reißt der Spannungsbogen nicht ab. Ich hätte nicht gedacht, daß mich noch einmal ein „Dschungelabenteuer“ derart beeindrucken kann. Hammerschmitts Ich-Erzähler ist ein Roboter – aber daran allein kann es nicht liegen, daß die Charaktere nicht vollkommen ausgearbeitet erscheinen. Die Pointe ist wiederum zu bieder (und soll hier nicht verraten werden) – was im Sammelsurium von Ideen aber gar nicht so sehr auffällt.
Diese Story zeigt einmal mehr den internationalen Standard der modernen deutschen SF.

Greg Egan aus Australien erzählt in „Wahre Liebe“ von einem Unfallopfer, dessen Gehirn überlebt und in einen geklonten Körper gepflanzt werden soll. Bis dieser „reif“ ist, soll das Hirn, gleich einem Baby, im Bauch seiner Ehefrau überleben. Diese ist entrüstet, angewidert, erschreckt, fasziniert und schließlich überzeugt. Egan stellt die ganze Bandbreite der Emotionen dieser Frau glaubhaft dar. Trotz der ihr innewohnenden Ernsthaftigkeit ist die Story unterhaltsam und fesselnd. Der Autor hat über sein Thema gründlich nachgedacht und alles in einer gelungenen Form in die Geschichte gepreßt. Das hat mir ausgezeichnet gefallen.

Die letzte Story heißt „Die gute Ratte“ und stammt von Allen Steele aus den USA. Und sie ist eine der besten des Bandes. Vor dem Hintergrund einer an sich erschreckenden Zukunftswelt erzählt Steele locker und humorig die hoffnungsvolle Geschichte eines Menschen, der unter widrigen Umständen sein Glück findet. Tierversuche sind verboten: Die Industrie behilft sich mit Freiwilligen. Menschen, natürlich. Diese testen Kosmetika und Arzneimittel – und die meisten tun dies, da sie gar keine andere Wahl haben…
Inhalt und Sprache der Story bilden eine perfekte Einheit – allenfalls die Übersetzerin ärgert einen mit überflüssigen Sternchenanmerkungen. Mein Tip: Trotzdem lesen.

Insgesamt somit eine gefällige und gelungene Auswahl. Vielfältig und abwechslungsreich, anregend und aufregend.