Ronald M. Hahn – Auf der Erde gestrandet

Auf der Erde gestrandet

Blitz Verlag
Phantastische Romane Band 1
Titelbild von Thomas Kidd
Windeck 1996, 19.80 DM, 176 Seiten

Mit Ronald M. Hahns »Auf der Erde gestrandet« startete der Blitz-Verlag seine Reihe von neuen phantastischen Romanen. Neben der Wiederveröffentlichung von utopischen Klassikern von Clark Darlton, William Voltz, Kurt Mahr, Hans Kneifel und Ernst Vlcek konzentriert sich Jörg Kaegelmann im Bereich der Science Fiction auf die inzwischen abgeschlossene Neuauflage von »Raumschiff Promet«, die Veröffentlichung neuer Sternenabenteuer und serienunabhängige Romane. Von Ronald M. Hahn und Horst Pukallus erscheint mit »T.N.T. Smith – Jäger der Unsterblichen« eine an die Indiana-Jones-Kinofilme angelehnte Abenteuerserie, die auf insgesamt 12 Bände konzipiert ist.

Über die Schwächen der ersten Bände auf der Lektoratsseite ist mehrfach geschrieben worden und im Gegensatz zu einigen anderen Kritikern glaube ich nicht, daß sie das Lesevergnügen stark beeinträchtigen. Die Initiative Kaegelmanns in diesen Zeiten phantastische Literatur zu verlegen, ist trotzdem zu würdigen.

Ronald M. Hahn hat mehr als genug Erfahrungen als Herausgeber und somit ist sein Roman auch ein würdiger Auftakt der Reihe. Der 1948 in Wuppertal geborene Autor erlernte den Beruf des Schriftsetzers und spielte nebenbei auch in einer Rockband. Nach seinen Fanzineveröffentlichungen Ende der sechziger Jahre, erschien mit „Imperium Rhodanum“ zusammen mit Pukallus seine Studie des Perry Rhodan Fandoms. In den Jahren 1970 bis 1982 gab er die linksorientierte Science Fiction Times heraus, die sich immer wieder sehr kritisch mit der SF und insbesondere der Fanszene in Deutschland auseinandersetzte. Im Gegensatz zu vielen reinrassigen Kritikern bewiesen H.J.Alpers, Werner Fuchs und auch Hahn, daß sie als Herausgeber ein gutes Auge für Qualität hatten und auch noch heute blickt der Sammler und Leser auf die vielen modernen Klassiker, die uns unter ihrer Herausgeberschaft zugänglich gemacht wurden. Hahn gab zwischen 1972 und 1974 die FISCHER ORBIT Reihe heraus und später von 1982 bis 1988 die schwarzen Ullstein-Taschenbücher. In der Ullsteinreihe erschienen auch viele deutsche SF-Autoren wie Thomas Ziegler, Andreas Brandhorst und Michael Iwoleit. Über viele Jahre präsentierte er auch für den Heyne Verlag Auswahlbände aus dem „Magazine of Fantasy and Science Fiction“.

Hahn schrieb in seiner langen Karriere fast alles: Romane, Novellen, Kurzgeschichten, Jugendbücher, er fertigte Übersetzungen und wirkte an mehreren inzwischen elementaren Lexika mit wie die Nachschlagewerke über SF, Fantasy und Horrorfilme, Reclams SF Führer oder „Das Lexikon der SF Literatur“. Daneben schrieb und schreibt er unter diversen Pseudonymen für „Raumschiff Promet“, „Commander Scott“,“Die Terranauten“ und „Maddrax“.

Er wurde bis dato sechsmal mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet (in diversen Sparten!). Seine neuste Arbeit WO KEINE SONNE SCHEINT mit Horst Pukallus publizierte er ebenso genau wie die Neuauflage von IMPERIUM RHODANUM in seinem Verlag Nummer eins. In Vorbereitung ist eine Kurzgeschichtensammlung.

Zu seinem besonderen Steckenpferd gehört Jack London. Schon in der rasanten Zeitreiseklamotte „Die Temponauten“ (mit Harald Pusch, Corian, bzw. Heyne Verlag) griff er auf die in Alaska spielenden Abenteuergeschichten Londons zurück. Er schrieb verschiedene Aufsätze für Magazine. Unter anderem auch über die Science Fiction des Jack London für das Perry Rhodan Magazin und gab in den achtziger Jahren mehrere Kurzgeschichtensammlungen Londons im Ullsteinverlag heraus. Ein Teil von „Auf der Erde gestrandet“ basiert auf der 1912 erschienen Kurzgeschichte „The Wonder of Woman“.

Frauen spielen auch in diesem Roman eine wichtige Rolle, aber als Charaktere an sich sind sie bis auf die Häuptlingstochter klischeehaft und hölzern gezeichnet: die Nutte, die eigentlich nur auf die Fahrkarte in die Heimat wartet und daraufhin arbeitet oder die verheiratete Frau, nach der McDoyall schmachtet. In beiden lassen sich durch die schemenhafte Beschreibung keine Charakterzüge erkennen. Vielleicht gibt das die Kürze des Textes auch nicht her.

McDoyall und Joey Sherman sind seit einigen Jahren Partner. Gemeinsam haben sie in Alaska um die Jahrhundertwende die Veränderung miterlebt. Die großen Firmen haben die individuellen Goldgräber aufgekauft und das Abenteuer des Goldrausches ist mehr und mehr melancholischen Erinnerungen gewichen. Die beiden sind finanzielle unabhängig. Ihnen wird von einem geheimnisvollen, aber reichen Indianerstamm erzählt, der von einem Weißen beherrscht wird. Dort soll es noch unendlichen Reichtum geben (das typische Element vieler London Geschichten, die Suche nach dem heiligen Gral, der den Abenteurern die Tür zu einem besseren Leben öffnen soll, deren Weg aber meistens in Tod und Verderben endet), den Augenblick in der Zeit, der aus einem gewöhnlichen Leben etwas Heldenhaftes hervorzaubert. Nach einigen Strapazen stoßen sie auf den Stamm, regiert von einem Häuptling namens Suan, der seine scheinbar europäischen Wurzeln nicht verleugnen kann, ohne hier konkreter zu werden. Die unschuldige Tochter verliebt sich in McDoyall, der das in seinen Augen noch junge Kind zwar mag, aber Gewissensbisse hat eine echte Beziehung einzugehen. Sie stoßen auf verschiedene andere Gäste im Dorf, die genau wie die beiden Abenteurer gezwungen sind, das ewige Gastrecht des Stammes zu genießen.

McDoyall möchte auf der einen Seite das Geheimnis des Stammes lösen (der Titel mit dem etwas unpassenden, aber schönem Titelbild verrät dem Leser alles), auf der anderen Seite danach aber auch zurück in die Zivilisation. Unschlüssig ist er in Bezug auf das junge Mädchen, denn erstens gibt es schon eine Frau in seinem Leben (zumindest passiv, denn sie ist verheiratet) und zweitens ist es unklug, mit der Tochter des Häuptlings aus dem Dorf zu fliehen. Das könnte eventuelle Verfolger noch zorniger machen. Aber genau das passiert natürlich alles. Erst flieht sein Partner und kommt dabei scheinbar um, dann versucht er es selbst. Die tragische Flucht und das unwahrscheinliche Happy End (besteht das große Alaska nur aus wenigen passierbaren Wegen?) schließen die unterhaltsame Abenteuergeschichte ab.

Im Gegensatz zu Hahn/Puschs DIE TEMPONAUTEN wirkt AUF DER ERDE GESTRANDET wie eine lesenswerte, aber oberflächliche Pulpgeschichte. Er versucht von Beginn an die Atmosphäre von Londons Klondikeromanen einzufangen und beim tagebuchähnlichen Rückblick und der abschließenden Flucht gelingt es ihm gut, dieses überwältigende Land in die richtigen Worte zu fassen. Der Leser fühlt sich auf einer Zeitreise ins letzte Jahrhundert, mit seinen Schlittenhunden, der beeindruckenden Natur, der Einsamkeit und dem Willen, diesen Gegner zu bändigen. Dazwischen steht mit dem jungen Sherman die tragisch-lustige Figur, an der sich heranwachsende Leser orientieren können. Nicht nur, daß er zu Beginn die treibende Kraft in Bezug auf das Abenteuer ist, Joey kennt seine Helden aus den Abenteuergeschichten und hält die gelesenen Erzählungen für wahr. Höhepunkt der amüsierenden Schilderung Hahns ist die Tatsache, daß Sherman einige von McDoyalls Geschichten gelesen hat und nacherzählt (der hatte sie zu Beginn seiner Karriere unter Pseudonym geschrieben). Dieser möchte dem jungen Mann aber nicht seine Illusionen rauben und schweigt, daß er sich das alles ausgedacht hat.

Diese kleinen Anekdoten lockern den Text auf und machen das handliche Hardcover zu einem unterhaltsamen Lesevergnügen. Im Vergleich zu Hahn/Pukallus neustem Roman WO KEINE SONNE SCHEINT fällt das Buch aber deutlich ab. Während aber die Kooperation in den letzten Kapiteln zu sehr überdreht und viele der vorherigen guten Szenen ins Lächerliche zieht, findet hier Hahn sehr gut zu einem Höhepunkt: die aufopferungsvolle Liebe der Häuptlingstochter zu McDoyall mit ihrem tragischen Ende. Natürlich kann man auch von Kitsch sprechen, aber der Roman spielt im letzten Jahrhundert und Hahn lehnt sich an die Tradition der Abenteuergeschichten an, und damals waren solche Ereignisse eben üblich.

Dazwischen streut Hahn gemäß den historischen Zwängen der klassischen (vor den Kriegen) phantastischen Literatur geheimnisvolle Orte (Shangri-La), unentdeckte Völker, über die nur hinter vorgehaltener Hand erzählt wird, mutige Entdecker, notgelandete Außerirdische und telepathisch begabte Geisterkrieger, die unsere unerschrockenen Helden vor viele Aufgaben stellen.

Locker geschrieben, eher zu kurz als zu lang, da man sich etwas mehr Charakterisierung und Details wünschen würde, kann der Leser mit seinem Autor ganz weit zu den Anfängen der phantastischen Literatur zurückreisen, dort unbeschadet einige Stunden oder Tage verbringen und schnell in die Gegenwart zurückkehren, ohne lange weiter über den Kontext nachdenken zu müssen.